Menschen und Maechte
ich: Übereile kann einer Politik ebenso schaden wie unnötige Verzögerung.«
Damit war das Hindernis für einen politischen Abschluß aus dem Wege geräumt. Jetzt hatte Breschnew Kossygin und Gromyko entsprechend zu unterrichten; der Außenminister wird nicht begeistert
gewesen sein. Jedenfalls spielte Berlin beim Abschlußgespräch am nächsten Tag keine hemmende Rolle mehr. Vielmehr bestätigte Kossygin zum ersten Mal, daß für das damals zwischen uns behandelte Projekt eines Kernkraftwerkes auf sowjetischem Boden, dessen Strom auch in das westdeutsche Verbundnetz eingespeist werden sollte – ein Projekt, das später im Sande verlaufen ist –, die Schalter und Transformatoren auf West-Berliner Gebiet errichtet werden konnten. Damit kam er unserer Bedingung entgegen, daß diese Anlagen nicht auf einem Territorium liegen dürften, über welches die Regierung der DDR Verfügungsgewalt hatte. Auch Gromyko gebrauchte im Blick auf die Einbeziehung West-Berlins in die anstehenden Abkommensentwürfe eine neue Formulierung, nach welcher (natürliche) Personen mit Wohnsitz in West-Berlin aus der Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik nicht ihrer beruflichen Tätigkeit wegen ausgeschlossen sein sollten. Damit schienen auch die Beamten des Umweltschutzamtes in die wissenschaftliche Zusammenarbeit einbezogen.
Mit den Erklärungen Kossygins und Gromykos war der am Bundesumweltamt aufgehängte Streit über die Auslegung des Viermächteabkommens vorerst entschärft. Aber Monate später sollte sich zeigen, daß Moskau auch nach der Schattenseite hin flexibel sein kann: Man zog sich in beiden Komplexen – Überlandleitung und Zusammenarbeitsabkommen – auf die alten Positionen zurück.
Breschnew und ich haben während des Besuches etwa zwölf bis fünfzehn Stunden miteinander gesprochen; davon waren am interessantesten – und auch am wichtigsten – die viereinhalb Stunden unter vier Augen. Es zeigte sich, daß Breschnew die vom Bundesumweltamt ausgegangenen Streitigkeiten weit weniger wichtig nahm als den Fortschritt bei den KSZE-und bei den SALT-Verhandlungen und den Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern.
Mit dem letzteren Komplex begannen wir. Breschnew holte weit aus und schilderte, wobei er eine Landkarte zu Hilfe nahm,
die Rohstoffquellen und -reserven Sibiriens, die Pläne zu ihrer Erschließung, die dabei auftretenden Transportprobleme, die geplante Eisenbahn-Magistrale vom Baikalsee zum Amur-Fluß und weiter bis zum eisfreien Amur-Hafen Komsomolsk. Bei diesen Themen, die ihm erkennbar am Herzen lagen, lebte er auf. Die Sowjets könnten in der Zukunft große Mengen an Rohstoffen liefern – dies war der Kern seiner Botschaft. Auch in späteren Jahren kam Breschnew häufig auf diesen Themenkomplex zurück. Kossygin hatte die gleichen Visionen, konzentrierte sich aber ganz auf die nächstliegenden Projekte, vor allem auf diejenigen, die unter dem Aspekt einer wirtschaftlichen Kooperation mit Deutschland in Betracht kamen.
Ich hatte bei allen Gesprächen mit Breschnew und Kossygin den Eindruck, daß sowohl der Generalsekretär als auch der Ministerpräsident im Grunde den wirtschaftlichen Ausbau ihres Landes als ihre eigentliche Hauptaufgabe betrachteten. Dabei dachten sie immer in güterwirtschaftlichen Kategorien und Quantitäten, nicht in finanz- oder haushaltswirtschaftlichen Größenordnungen. Die finanzwirtschaftliche Quantifizierung kam auch bei jedem einzelnen Großprojekt immer erst am Schluß; dabei spielte aber dann die Höhe des Zinsfußes für die von uns zur Finanzierung erwarteten Kredite eine ideologisch fixierte Rolle.
Kossygin erhob zum Beispiel keinen Einspruch, stimmte vielmehr sogar zu, als ich ihm in größerer Runde sagte, natürlich könnte man einen Zinsfuß von 6 1/2 Prozent ins Auge fassen, sogar einen von nur 4 Prozent; das für die Finanzierung tätige Konsortium müsse allerdings für die Refinanzierung gegenwärtig praktisch 11 Prozent zahlen. Da unser Staat für die Überbrückung der Zinsdifferenz nicht eintrete, müsse die Differenz aus dem Preis für die Lieferung gedeckt werden. Kossygins Sorge galt eher der Frage, ob unsere Banken den Umfang der Finanzierung bewältigen könnten; mit meinem Hinweis auf die Offenheit unserer Finanzmärkte, die eine praktisch unbegrenzte Kapazität ermögliche, gab er sich zufrieden. Zu meiner Bemerkung, bisher sei noch kein Großgeschäft an der Finanzierungsfrage gescheitert, nickte
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