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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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er zustimmend. Tatsächlich wurde noch während unserer Anwesenheit in Moskau von führenden Industriellen und Bankern ein drittes Erdgasröhrengeschäft
unterzeichnet. Zu Hause in München sah sich Franz Josef Strauß zu der polemischen Bemerkung veranlaßt, der deutsche Bundeskanzler vertrete in Moskau die Interessen der Schwerindustrie – als ob es sich nicht ebenso um Beschäftigungsinteressen der deutschen Arbeitnehmer und, politisch gesehen, um deutsche Gesamtinteressen gehandelt hätte!
    Breschnew sprach auch über die anderen Großprojekte, über die zwischen Moskau und Bonn verhandelt wurde. Mit Stolz wies er auf wirtschaftliche und technische Leistungen seines Landes hin, zum Beispiel auf die Technologie einer sowjetischen Quarzuhr, die er mir schenkte – die aber leider nur wenige Tage funktionierte.
    Der wichtigste Gesprächspunkt für Breschnew war die Fortsetzung der Entspannungspolitik. Die KSZE-Verhandlungen dauerten ihm zu lange. Er berichtete von diesbezüglichen Gesprächen mit Nixon und zeigte sich besorgt, daß die Bürokratien immer neue Schwierigkeiten erfänden, sowohl bei den sogenannten vertrauensbildenden Maßnahmen als auch beim sogenannten Korb Drei. Offenbar gebe es viele Leute, die auf diese Weise den Abschluß der KSZE-Verhandlungen bremsen wollten. Ich erwiderte, die Bundesrepublik werde zu derartigen Schwierigkeiten nicht beitragen; Bonn sei, was die vertrauensbildenden Maßnahmen angehe, durchaus bereit, sich Auflagen zu unterwerfen, wenn dies auf allen Seiten gleichmäßig geschähe. Wir hätten nur ein vitales Interesse, nämlich, daß der Grundsatz der Möglichkeit einer friedlichen Änderung der Grenzen den gleichen Rang erhalte wie die anderen Prinzipien.
    Im ganzen gewann ich den Eindruck, daß Breschnew entweder gegenüber seinen Kollegen im Politbüro oder gegenüber den Führern der anderen kommunistischen Staaten im Osten Europas erhebliches persönliches Prestige in die KSZE-Verhandlungen investiert hatte und daß er mich dies spüren lassen wollte, ohne es auszusprechen. Vielleicht spielte der Wunsch nach einer Kompensation der sogenannten Breschnew-Doktrin eine Rolle, das heißt der im Zusammenhang mit dem Einmarsch in die ČSSR 1968 verkündeten Theorie, nach der sich kein sozialistisches Land in der Frage der gemeinsamen Sicherheit aller sozialistischen Länder auf seine nationale Souveränität berufen könne – was ein ausdrück licher Verstoß gegen das in Artikel 2 der Satzung der Vereinten Nationen enthaltene Prinzip der Nichteinmischung war.

    Abb 19 Bilder vom Staatsbesuch im Oktober 1974. Unterzeichnung der gemeinsamen Schlußerklärung.
    Abb 1 im Bolschoi-Theater, von links: Frau Gromyko, Frau Breschnewa, Helmut Schmidt, Leonid Breschnew, Loki Schmidt, Alexej Kossygin.

    Ein Jahr später haben dann tatsächlich alle europäischen Verbündeten Moskaus, und zwar protokollarisch im gleichen Rang wie Moskau selbst, an der KSZE-Schlußkonferenz in Helsinki teilgenommen. Aber ebenso deutlich war, daß die KSZE-Schlußkonferenz für Breschnew auch eine Bestätigung dafür sein sollte, daß die Sowjetunion gleichen Rang mit den USA hatte und daß sie de facto in ihrer Vormachtstellung in Osteuropa legitimiert wurde.
    Die Ebenbürtigkeit als Weltmacht spielte unausgesprochen auch in Breschnews Darstellung des Standes der SALT-II-Verhandlungen eine wichtige Rolle. Zwei Tage zuvor hatte Henry Kissinger aus diesem Anlaß Moskau besucht; Breschnew berichtete mit einem Anflug von Stolz, daß sein Resümee über den Stand der SALT-II-Verhandlungen von Kissinger als eine »sehr gute Grundlage für einen Vertrag« bezeichnet worden sei. Allerdings sei die Frage des Abzuges der amerikanischen Bombenflugzeuge und der strategischen Raketen aus der Bundesrepublik noch offen (gemeint waren die Jagdbomber und Mittelstreckenraketen, die relativ kurze Reichweiten hatten). Breschnew sprach von Nixon und Kissinger mit spürbarem Respekt – er schien den Abgang Nixons zu bedauern – und wies mit Genugtuung auf SALT I und auf den ABM-Vertrag hin: »Die Menschen in den USA sind klug, sie wissen, was ein Atomkrieg bedeuten würde. Wenn jemand uns einmal als erster angreifen oder wenn je die Sowjetunion eine solche Dummheit begehen sollte, so werden alle Europäer untergehen – vielleicht bleibt von Lateinamerika noch etwas übrig. Deshalb lasse ich den Gedanken an die Führbarkeit eines atomaren Krieges überhaupt nicht aufkommen!«
    Breschnew sprach mit großem Engagement; auf mich

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