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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Bahnhof«, den man uns in Moskau bereitete. Als unsere Boeing, mit den Hoheitszeichen der Bundeswehr geschmückt, auf dem Flughafen Wnukowo ausgerollt war, empfingen uns nicht nur der Ministerpräsident Kossygin und der Außenminister Gromyko – was protokollarisch ausreichend
gewesen wäre –, sondern auch der Generalsekretär selbst. Dies war weder bei Nixons noch bei Brandts Besuchen in Moskau der Fall gewesen. Ich empfand es als eine ungewöhnliche Geste.
    Ungewöhnlich war auch Breschnews zur Schau getragene, fast überschwengliche Herzlichkeit, die vor den Augen der Fernsehkameras das sehr martialische militärische Zeremoniell in den Hintergrund treten ließ. Auf dem Flugfeld standen Hunderte von fähnchenschwingenden Moskauer Bürgern und die vollzählig versammelte deutsche Kolonie. Die Ehefrauen unserer Gastgeber – Kossygin war mit seiner Tochter erschienen – hatten für meine Frau, für Frau Genscher und Frau Schlei Blumen mitgebracht; Kossygin hielt sich ebenso wie Gromyko im Hintergrund.
    Unsere Wagenkolonne fuhr zu den bereitgestellten Gästehäusern auf den Leninhügeln; Breschnew selbst zeigte mir meine Wohnung für die nächsten drei Tage, ließ sich zu mehreren Begrüßungswodkas in meinem Wohnzimmer nieder und nötigte Kossygin und Gromyko, das gleiche zu tun. Dabei gab es die ersten Trinksprüche und viele freundliche Worte. Offenbar sollte ich beeindruckt werden – und ich war es auch. Allerdings wußte ich, daß überströmende russische Gastfreundschaft keineswegs harte und notfalls grobe Verhandlungen ausschloß. Nicht weniger beeindruckt war ich von der überragenden Rolle, die Breschnew im Verhältnis zu seinen Kollegen spielte. Ihm kam es darauf an, den deutschen Gast näher kennenzulernen und ihn zu diesem Zweck aus der Reserve zu locken. Ich war dazu durchaus bereit.
    Wenig später sahen wir uns im Kreml wieder, nachdem ich am Ehrenmal der sowjetischen Soldaten an der äußeren Kremlmauer meinen Respekt bezeigt und einen Kranz niedergelegt hatte. Ich war viele Jahre zuvor schon einmal im Kreml gewesen, hatte aber bis dahin keine Vorstellung von der Pracht im Innern, in das wir jetzt geführt wurden. Gewaltige Vorhallen, luxuriöse Treppen, Hallen und Säle, der Georgssaal, der Wladimirsaal. Von einem Saal zum anderen geleitet, betraten wir schließlich den zum Verhandlungsort bestimmten Katharinensaal, in dem mein Amtsvorgänger vier Jahre zuvor den deutsch-sowjetischen Vertrag unterzeichnet hatte. Eine barocke Symphonie in Weiß, Gold und Grün; die Pilaster
und Pfeiler schienen mit Malachit verkleidet zu sein – es ist grüner russischer Marmor, wie ich später hörte –, und darüber schwebten drei oder vier prächtige Kristallüster.
    Ich kenne den Elysee-Palast, das Weiße Haus, die römischen Paläste, aber die mit gewaltigem Aufwand und großer Sorgfalt restaurierten Kreml-Paläste in ihrer authentischen historischen Pracht spotten aller Vergleiche mit den Regierungssitzen der westlichen Welt. Und die Männer des Politbüros nehmen ihre Rolle als Gastgeber vermutlich mit der gleichen Selbstverständlichkeit wahr wie ihre autokratischen Vorgänger zur Zarenzeit. Der Glanz beeindruckt, er blendet beinahe.
    Breschnew ließ zunächst die Kameraleute zu ihrem Recht kommen. Mit übertrieben geschauspielertem Abscheu nannte er sie »unsere Folterknechte«; die deutschen Photographen und Fernsehleute nahmen dies nicht übel. Ein westlicher Politiker muß Ihre Majestäten von den Massenmedien mit Samthandschuhen anfassen – ein östlicher Staatslenker ist dagegen selber Majestät.
    Mir gab der Aufmarsch der Medien eine unerwartete Chance: Breschnew räumte mir während meines Besuches die Möglichkeit zu einer Fernsehansprache an das sowjetische Publikum ein. Ich habe die Gelegenheit genutzt: »Wir müssen dafür sorgen«, habe ich in meiner Ansprache gesagt, »daß die Brücke nicht schmaler ist als der Fluß.« Noch ein anderes Bild habe ich gebraucht: »Wer einen Wald anlegen will, der muß Bäume pflanzen«, und dem fügte ich die russische Redensart hinzu: »Nüchternes Rechnen schadet nicht der Freundschaft.« Vor allem aber habe ich mich klipp und klar zum deutsch-sowjetischen Vertrag, zu seinen politischen Zielen und zu seiner vollen Anwendung bekannt. Aber ich habe den Millionen Fernsehzuschauern ebenso deutlich gesagt: »Das deutsche Volk hat die Hoffnung nicht aufgegeben, eines Tages friedlich unter einem Dach zusammenzuleben.« Vermutlich haben die Sowjetbürger diesen

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