Menschen und Maechte
auch auf diesem Felde die Ära Gorbatschows zusätzliche Durchsichtigkeit herbeiführt. Sicher ist das nicht. Sicher erscheint mir nur, daß Gorbatschow verstanden hat, wie sehr die vergleichsweise hohen Rüstungsausgaben, die Opfer an Gütern und Leistungen, jede Reform der Wirtschaft belasten. Die Zielsetzungen der sowjetischen Wirtschaftsreform verlangen – wenn denn überhaupt für 290 Millionen Sowjetbürger ein materieller Erfolg in wenigen Jahren fühlbar gemacht werden soll – nach Begrenzung des Rüstungsaufwandes. Diese erscheint innenpolitisch aber nur bei gleichgewichtigen Verträgen mit dem Westen durchsetzbar. Daraus folgt das Interesse des Wirtschaftsreformers an Abrüstungsverhandlungen und Rüstungsbegrenzungsverträgen.
In den USA ist – entsprechend der demokratischen Verfassung und der wichtigen Rolle von Senat und Abgeordnetenhaus sowie der Medien – der Meinungsbildungsprozeß für jeden Außenstehenden von fast vollkommener Transparenz. Bisweilen scheinen die USA mehr mit sich selbst als mit der Sowjetunion zu verhandeln. Dabei spielen die Argumente und Interessen der anderen, auch der verbündeten Staaten nur eine geringe Rolle, ob es sich um Neutronenwaffen, um SDI-Rüstung oder INF-Verhandlungen handelt, um Kernkraftwerks- oder Röhrenexporte, um Dollarwechselkurse oder Handelsbilanzdefizite. Das amerikanische Fernsehpublikum hört und liest wenig über die Meinungen anderer Völker. Es liest jedenfalls keine europäischen Zeitungen; fast alle an die USA adressierten europäischen Leitartikel gehen deshalb ins Leere. Wenn eine amerikanische Administration sich dennoch erfolgreich bemüht, Rücksicht auf die Interessen anderer Staaten zu nehmen, so verdient sie Lob. Der Hang zu egozentrischen und egoistischen Entscheidungen, zum »Unilateralismus«, hat unter Johnson, Carter und besonders unter Reagan sehr zugenommen. Dabei spielt die Enttäuschung vieler Amerikaner eine Rolle, daß die Vorstellung von einer weltweiten »pax americana« längst unrealistisch geworden ist; daß die Vereinten Nationen nicht entfernt das leisten können, was man sich allzu idealistisch von ihnen versprochen hatte; daß die Integration Westeuropas nicht voranzukommen scheint.
Ich halte es für wahrscheinlich, daß man in Moskau und in Beijing keineswegs weniger egozentrisch denkt, ja daß man in Moskau noch viel stärker unilateral entscheidet, und daß die breite Masse der sowjetischen und der chinesischen Bürger noch weniger über die Interessen anderer Völker informiert ist als die Mehrheit der Amerikaner. Daß Menschen zum Beispiel in Singapur oder auf den Philippinen Angst haben vor der Macht Chinas, dürfte den meisten Chinesen genauso unverständlich sein, wie es den meisten Sowjetbürgern unverständlich ist, daß Europäer und Asiaten, welche in Reichweite der Sowjetunion leben, die Macht dieses Staates fürchten.
Unter den Europäern haben die Deutschen mehr Angst als die anderen Völker; dies ist eine Folge der Teilung Deutschlands, der Anwesenheit fremder Truppen und Waffen auf den deutschen Territorien und des Fehlens wichtiger Freiheiten im abgesperrten Teil der Nation. Aber andere Europäer haben ebenfalls außen- und sicherheitspolitische Ängste. Viele Europäer empfinden Unbehagen über die außen- und sicherheitspolitische Abhängigkeit ihres Kontinents von den Entscheidungen zweier Weltmächte; dies gilt zumal für die Politiker – von Warschau bis Paris und von Kopenhagen oder Oslo bis Rom und Madrid. Dennoch gelingt es ihnen heute viel weniger als noch in den fünfziger und sechziger Jahren, daraus nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch die Konsequenz zu ziehen und auf die Integration Europas hinzuwirken. Weil in den achtziger Jahren der (west)-europäische Einigungsprozeß ins Stocken geraten ist, schrumpfte auch das weltweite Gewicht Europas. Sein Interesse an stabilem militärischem Gleichgewicht durch Rüstungsbegrenzungsverträge kann Europa gegenwärtig nicht kraftvoll vertreten, weil selbst innerhalb Westeuropas keine gemeinsame Willensbildung stattfindet. Wenn es dabei bleiben sollte, werden die Weltmächte uns auch weiterhin dominieren.
Wenn wir nach den militärischen Tatsachen die wirtschaftlichen Tatsachen betrachten, so ist die Macht der drei Weltmächte weit weniger eindrucksvoll. Die Ölhandelsbilanzen der siebziger Jahre liefern dafür ein anschauliches Beispiel. Die drei Weltmächte waren
von den beiden durch die OPEC herbeigeführten Ölpreisschocks der
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