Menschen und Maechte
natürlich bleibt für Beijing die Sowjetunion sowohl der bei weitem wichtigste Nachbar als auch der gefährlichste Machtfaktor.
Schlußbetrachtung eines Europäers
Der Westen muß sich von seinem bisherigen bipolaren Denken lösen; er muß sich bereits für die späten neunziger Jahre dieses Jahrhunderts ein machtpolitisches Dreieck vorstellen, bestehend aus den USA, der Sowjetunion und China. Den USA wird diese Einsicht nicht so leichtfallen wie den Europäern, denn Europa ist längst weitgehend zu der Erkenntnis gelangt, daß eine blockfreie Dritte Welt wünschbar ist; es ist nicht sehr schwer diese allgemeine Haltung gegenüber der Volksrepublik China zu konkretisieren.
Uns Deutschen sollte dies überhaupt keine Schwierigkeiten machen. Im Gegenteil: Alles spricht dafür, daß wir Deutschen entsprechend unserer außenwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Befriedigung des enormen technischen und wirtschaftlichen Nachholbedarfs Chinas beitragen. Da Japan ohnehin der wichtigste Wirtschaftspartner der Volksrepublik China bleiben wird, wahrscheinlich gefolgt von den USA, besteht nur eine relativ geringe Gefahr – die zudem eingegrenzt und kompensiert werden kann –, daß Moskau gute wirtschaftliche und politische Beziehungen zwischen Bonn und Beijing ernsthaft als antisowjetische Provokation mißverstehen oder doch propagandistisch wirksam so darstellen kann. Frankreich, England, Italien und die übrigen Staaten der Europäischen Gemeinschaft wie auch die ungebundenen Staaten Europas werden ihrerseits keine Hemmungen gegenüber enger werdenden Beziehungen zu China haben. Man sollte also annehmen, daß Westeuropa insgesamt gute und engere Beziehungen zu Beijing entwickeln wird. Dies liegt im beiderseitigen Interesse und stößt auf keinerlei ideologische Barrieren oder andere Hemmnisse. Lediglich die sowjetisch beaufsichtigten Staaten Osteuropas werden umsichtig sein müssen bei der Entfaltung ihrer Beziehungen zu Beijing.
Die USA dagegen haben erhebliche eigene ideologische Schranken zu überwinden. Sie stammen aus der entsetzten Ablehnung der
chinesischen kommunistischen Revolution, aus der Niederlage des US-Verbündeten Chiang Kai-shek und aus vier Jahrzehnten Taiwanpolitik. Diese inneren Hemmnisse werden noch einige Jahre eine Rolle in Senat und Öffentlichkeit spielen. Vizepräsident Bush hat mir einmal, als ich bei amerikanischen militärischen Lieferungen an Taiwan zur Vorsicht riet, entgegengehalten: »Sie vergessen, daß es sich um unseren ältesten Verbündeten handelt.« Seit 1979 gibt es allerdings keine formalen Vertragsbeziehungen mehr zwischen den USA und der »Republik China«; vielmehr setzt sich auch in den USA langsam der Sprachgebrauch durch, der in Europa längst gängig ist: »Taiwan« und die »Behörden in Taiwan«. Gleichwohl: Die Taiwanfrage bleibt eine mögliche Quelle von Irritationen.
Und andere Irritationen kommen hinzu, denn es fehlt bisher an einer klaren amerikanischen Chinapolitik; das tatsächliche Verhalten Washingtons läßt noch keine Gesamtstrategie gegenüber China erkennen. Dennoch können die USA bei ausschließlich sachbezogener strategischer Analyse zu keinem anderen Schluß gelangen als die Europäer: Gute Beziehungen zur Volksrepublik China und eine Stützung seiner ökonomischen Reform liegen im westlichen Interesse. Dieses Interesse könnte nur dann gefährdet werden, falls China sich unter anderer Führung wieder der Sowjetunion zuwenden sollte – etwa unter der Voraussetzung sehr großzügiger Konzessionsbereitschaft Gorbatschows oder seiner Nachfolger – oder sofern China eines Tages selbst eine hegemoniale Rolle in der ostasiatischen Region anstreben würde. Beides ist innerhalb dieses Jahrhunderts unwahrscheinlich. Gleichwohl wird China einen gewissen Abstand zu den USA vorerst als nützlich ansehen.
Von einem weltpolitischen Dreieck war die Rede, welches der Westen sich für die Zukunft vor Augen halten muß: nicht mehr Washington-Moskau, sondern vielmehr Moskau-Washington-Beijing. Vermutlich werden die Chinesen diese Vorstellung noch für eine Reihe von Jahren von sich weisen; sie lieben es, den Eindruck der Bescheidenheit zu machen. Tatsächlich aber werden sie diese Dreiecksvorstellung für angemessen halten.
Manch einem mag es befremdlich erscheinen, daß bei einem derart groben Schema der Machtverteilung auf dem Erdball weder
von den Staaten Europas noch von Indien und den Staaten Süd-und Südostasiens die Rede ist, auch nicht von den zwei Dutzend
Weitere Kostenlose Bücher