Menschen und Maechte
Sprengköpfe besitzen. Gegenüber dieser unvorstellbaren Zerstörungskraft erscheinen alle anderen Staaten der Welt als minderen Machtkategorien zugehörig. Dies gilt übrigens auch hinsichtlich der Seestreitkräfte dieser beiden Weltmächte; dabei ist die amerikanische Marine derjenigen der Sowjetunion erheblich überlegen; auch stehen ihr über die ganze Welt verteilte Stützpunkte zur Verfügung.
Trotz dieser Machtanhäufung haben sich die beiden alten Weltmächte nach Hiroshima und Nagasaki aus guten Gründen außerstande gesehen, ihre nuklearen Waffen auch nur ein einziges Mal einzusetzen. Zwar hat das nukleare Drohpotential indirekt immer eine wichtige Rolle in der Politik der Weltmächte gespielt, in der kubanischen Raketenkrise des Jahres 1962 sogar sehr direkt. Aber sie haben dieses Drohpotential weder in Vietnam und Kambodscha noch in Afghanistan, weder in Mittelamerika noch am Persischen Golf und auch nicht zur Einschüchterung kleinerer oder mittlerer Staaten ausnutzen können, obgleich ihre nuklearen Mittelstreckenwaffen spezifisch zur Bedrohung kleinerer und mittlerer Staaten in der eigenen Region bestimmt sind. Gleichwohl ist die häufig zitierte Schlußfolgerung, die Existenz nuklearer Waffen verhindere einen Krieg, trügerisch; denn tatsächlich waren alle drei Weltmächte in den letzten Jahrzehnten an Kriegen beteiligt. Eher scheint die eingeschränkte Feststellung berechtigt, der Besitz von nuklearen Waffen verhindere einen direkten Krieg zwischen den drei Weltmächten. Aber auch diese Aussage ist von zweifelhafter Gewißheit.
In Wirklichkeit haben sich die beiden alten Weltmächte in ihrem Rüstungsverhalten nicht von diesem Satz leiten lassen; vielmehr haben sie bis heute ungeheure Finanzmittel aufgewendet, das heißt, sehr große Teile ihres Sozialproduktes geopfert, um im nuklearen Rüstungswettlauf Vorteile zu erreichen. Mit der Ausnahme Frankreichs und Englands haben alle anderen Staaten West- wie Osteuropas auf eine Beteiligung an diesem Wettlauf verzichtet; sie wäre von den beiden Bündnisvormächten Sowjetunion und USA auch gar nicht geduldet worden. Statt dessen haben die nichtnuklearen Staaten Europas, wenn auch zumeist nur
zaghaft, eine Begrenzung der nuklearen Rüstung der Weltmächte verlangt. Daß Richard Nixon und später Jimmy Carter mit Leonid Breschnew zu Abkommen über eine Begrenzung der Rüstung auf dem Felde der weitreichenden nuklearen Waffen (SALT I und SALT II) gelangten, ist freilich nicht ein Verdienst des Drängens Dritter; es entsprang der Einsicht beider Weltmächte, daß es zweckmäßig sei, ein nuklearstrategisches Gleichgewicht herzustellen und über bestimmte Zeiträume zu stabilisieren.
Die Volksrepublik China war an den Verhandlungen nicht beteiligt; auch nimmt sie weder an den 1981 in Gang gekommenen Verhandlungen über eine Begrenzung der nuklearen Mittelstrekkenwaffen (INF) noch an den anderen Abrüstungsanstrengungen teil. Da aber angesichts der gewaltigen Bevölkerungszahl Chinas relativ kleine Opfer pro Kopf ausreichen könnten, Chinas Rüstungsrückstand im Vergleich zur Sowjetunion und den USA wenigstens teilweise wettzumachen, läßt sich ein zukünftiges Interesse der beiden alten Weltmächte vorhersehen, China in Rüstungskontrollverhandlungen einzubeziehen. Vermutlich wird dabei das Interesse der Sowjetunion – auch Indiens und Vietnams – größer sein als dasjenige der USA oder der Europäer.
Die Europäer in West und Ost haben ein gemeinsames Interesse an der Befriedung ihres Kontinents; daraus entspringt der Wunsch nach Gleichgewicht, Stabilität, Zusammenarbeit und folglich nach vereinbarter Rüstungsbegrenzung. Die Helsinki-Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die 1975 mit der Ausnahme Albaniens alle europäischen Staaten mit der Sowjetunion, den USA und Kanada zusammenführte, war ein klares Signal. Natürlich gibt es zwischen den Staaten Europas wie innerhalb jedes Staates immer auch divergierende Meinungen; die Sonderstellung Frankreichs oder Rumäniens oder die innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik, in Holland und Belgien über den Doppelbeschluß oder die Null-Lösung sind Beispiele dafür.
Auch in Moskau gehen die Meinungen auseinander. Es liegt in der Struktur des Regimes der Sowjetunion, daß wir nur ahnen können, was hinter den Kulissen vorgeht, und nur selten ein Zipfelchen der divergierenden Interpretationen der Sicherheitsinteressen des
Sowjetstaates erhaschen. Es mag sein, daß
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