Menschen und Maechte
der Vereinten Nationen. Die Anwesenheit Ihrer Luftlandetruppen und Jagdbomber in Afghanistan ist ein besonderer Faktor der Beunruhigung, sie sollten möglichst schnell abgezogen werden …« Ich schloß damit, daß wir den Gedanken einer politischen Lösung begrüßen; dazu seien Gespräche mit der in Islamabad gebildeten Dreierkommission zweckmäßig. Aber Moskau und Washington müßten über den neuen Konflikt auch direkt miteinander sprechen: »Das rote Telefon ist ja nicht für Weihnachtsglückwünsche eingerichtet worden, sondern es soll der direkten Verständigung in Krisensituationen dienen …«
Über die Mittelstreckenraketen hatte Breschnew nur sehr pauschal gesprochen. Bereits am 6. Oktober, also ein dreiviertel Jahr zuvor, habe er eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, ohne darauf konstruktive Antworten zu bekommen. Leider habe auch die Bundesregierung den NATO-Beschluß aktiv unterstützt. »Was ist aber dabei herausgekommen? Die Grundlagen für Verhandlungen über Mittelstreckenraketen sind zerstört, die Ratifikation von SALT II ist blockiert!«
Ich wollte mir meine Antwort zum Thema der eurostrategischen Mittelstreckenwaffen für die Verhandlungen am nächsten Tag vorbehalten. Aber ich betonte, soweit ich sehen könne, habe Carter im vergangenen Winter das Ratifikationsverfahren ausgesetzt, weil dies die einzige Möglichkeit gewesen sei, SALT II vor einer parlamentarischen Niederlage zu retten. Der amerikanische Präsident wolle sich jedoch ebenso wie die westlichen Bündnispartner schon vor der Ratifikation an den Vertrag halten. Ich schloß mit einer unmißverständlichen, ziemlich umfangreichen Schilderung unserer Vertragstreue, was unser Bündnis mit den USA anlangte. Diese Allianz sei für uns und für das Gleichgewicht in Europa unverzichtbar; daher würden wir auch in Zukunft unseren militärischen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts leisten. Aber ebenso hätten wir den unbedingten Willen, die bilateralen deutsch-sowjetischen Verträge auszufüllen und auf deren Grundlage unsere Zusammenarbeit fortzusetzen.
Auch ich hatte etwa eine Stunde gesprochen. An einigen Stellen glaubten wir, bei Breschnew Zeichen des Verständnisses, bei Kossygin
und Gromyko eher Gesten des Unwillens bemerkt zu haben. Ich hatte ziemlich leise und eindringlich artikuliert, langsam und mit großem inneren Ernst sprechend. Die drei Herren hatten den Ernst gespürt; sie hatten den Gast respektiert, von dem sie nichts anderes erwartet, auf dessen Besuch sie gleichwohl soviel Wert gelegt hatten. Bisher hatte sich also nichts bewegt bei diesem Treffen. Die Katharsis kam beim Abendessen.
Wir waren vom Katharinensaal in den gleichfalls prächtigen alten Palast der Zaren gegangen. Dabei kamen wir an einem Historiengemälde vorbei, auf dem auch geistliche Würdenträger zu sehen waren, und ich meinte im Scherz zu Kossygin, dies seien wohl die Mitglieder des Politbüros. Kossygin antwortete mit trocken unterdrücktem Humor, diese Vermutung käme ihm unwahrscheinlich vor, »denn die tragen ja gar keinen Heiligenschein!«
In der Vorhalle erwarteten uns die Mitglieder des Politbüros. Nach den Photos, die ich gesehen hatte, erkannte ich Suslow, Ustinow, der in Uniform war, Tschernenko und Andropow. Später hörte ich, auffälligerweise hätten nur die in Moskau nicht anwesenden Politbüromitglieder gefehlt. Persönlich kannte ich bereits einige der Minister und der Spitzenbeamten. Die Staatsspitze des Riesenreiches war fast vollzählig versammelt, Breschnew hatte meinen Wunsch erfüllt.
Die Herren wirkten alle überarbeitet und grau. Es fiel auf, wie gut und geschmackvoll sie gekleidet waren. Kaum einer erschien mir jünger als ich, im Gegenteil: fast alle waren Männer jenseits ihres 65. Geburtstages. Außerdem gab es nicht eine einzige Frau darunter. Meine Vorstellung, unsere Politik auch den jüngeren Mitgliedern des Politbüros erklären zu können, war abwegig gewesen; denn es gab offenbar keine jüngeren Mitglieder. Mein Wunsch jedoch, zu den präsumtiven Nachfolgern Breschnews zu sprechen, hatte sich verwirklicht. Tatsächlich folgten ihm wenige Jahre später in kurzen Abständen erst Andropow, dann Tschernenko (Gorbatschow habe ich an jenem Abend nur flüchtig und nicht bewußt erlebt).
Alle Versammelten kamen von der Basis und waren im Laufe ihres Funktionärs- und Beamtenlebens aufgestiegen. Breschnew war Schlosser gewesen, Suslow und Kossygin waren – wie wohl auch Gromyko – Söhne von Kleinbauern.
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