Menschen und Maechte
Verteidigungsminister der westlichen Allianz den lange angekündigten Doppelbeschluß
zur LRTNF-Modernisierung und zur Rüstungskontrolle in ihrem Kommuniqué von Brüssel. Am 14. Dezember erklärte TASS, daß durch die Beschlüsse der NATO die Basis für Gespräche über Mittelstreckenwaffen zerstört sei.
Ich war nach wie vor sicher, Moskau werde schließlich doch verhandeln, auch wenn man bemüht sein würde, das Gesicht zu wahren. Aber am 27. Dezember marschierte die Sowjetarmee in Afghanistan ein und entfachte einen Sturm der Entrüstung in der Weltmeinung. Es war nur selbstverständlich, daß sich der amerikanische Präsident an die Spitze der Welle von Empörung und Verurteilung stellte. In dieser Lage igelte sich die sowjetische Führung ein und beharrte auf scheinheiligen Rechtfertigungsversuchen ihrer Intervention. An Rüstungsbegrenzungsverhandlungen war einstweilen natürlich nicht mehr zu denken; desgleichen verschwanden die Aussichten auf eine Ratifizierung von SALT II hinter dem Horizont.
Auch ich war über Afghanistan schockiert und empört. Dabei hätte ich es eigentlich besser wissen sollen; denn am fortwährenden Expansionsdrang Rußlands und der von Russen geführten Sowjetunion hatte ich nicht gezweifelt. Freilich gibt es einen Unterschied zwischen abstrakter Erkenntnis und konkretem Erlebnis. Noch größer ist die Kluft zwischen Illusion und Ernüchterung durch brutale Erfahrung: Jimmy Carter, der noch ein halbes Jahr zuvor in Wien Leonid Breschnew umarmt und auf die Wange geküßt hatte, nannte ihn jetzt einen Lügner.
Die bei außenpolitischen Krisen ohnehin sanguinische öffentliche Meinung der Amerikaner und das ebenso sanguinische Temperament Jimmy Carters wurden zusätzlich noch tief getroffen durch das Drama des amerikanischen Scheiterns in Teheran; der vergebliche Versuch zur gewaltsamen Geiselbefreiung demonstrierte öffentlich die gleiche Ohnmacht der westlichen Weltmacht, die auch gegenüber der sowjetischen Aggression in Afghanistan offenbar wurde. Es folgten das amerikanische Handelsembargo gegen die Sowjetunion und am 3. April 1980 der amerikanische Beschluß, die Olympischen Sommerspiele in Moskau zu boykottieren, die im Juli eröffnet werden sollten.
Die westeuropäischen Regierungen haben von Handelsembargos noch nie viel gehalten, sie wollten auch in diesem Falle dem amerikanischen Beispiel nicht folgen und lehnten Carters Aufforderung ab. Anders stand es mit ihrer Haltung zu einem Boykott der Olympischen Spiele. Die meisten Regierungschefs stimmten Carter mit moralischer Emphase zu, an der Spitze Margaret Thatcher. Aber in demokratisch verfaßten Gesellschaften ist der Sport eine Privatsache, und Regierungen können ihm nichts befehlen. Tatsächlich nahmen einige Monate später fast alle westeuropäischen Völker an den Olympischen Spielen in Moskau teil. Norwegen, die Bundesrepublik und die Türkei bildeten die Ausnahme, nicht zufällig jene drei NATO-Staaten, welche sowjetische Streitkräfte unmittelbar an ihren eigenen Grenzen stehen haben und sich deshalb stärker auf Rückhalt in der amerikanischen öffentlichen Meinung angewiesen fühlen.
Die deutschen Sportverbände und ihre Beschlußkörperschaften von der bündnispolitischen Notwendigkeit einer deutschen Abstinenz zu überzeugen – trotz großer Medaillenaussichten – war eine innenpolitisch kostspielige Anstrengung, die in Washington kaum honoriert wurde. Dort befand man sich inzwischen bereits im Präsidentschaftswahlkampf; der kluge und ausgleichende Außenminister Cyrus Vance war zurückgetreten, und die Tonart wurde schriller.
Den westeuropäischen Regierungen mißfiel der Mangel an außenpolitischer Weitsicht, der sich in den Schritten Washingtons auszudrücken schien; das galt besonders für Paris und Bonn. Schließlich wußten wir, daß wir auch nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl auf einen Modus vivendi mit den Russen angewiesen sein würden. Ich hielt deshalb an meiner Absicht zu einem neuerlichen Moskau-Besuch fest, worüber ich in Tuchfühlung mit meinem Freund im Elysee-Palast blieb.
Valéry Giscard d’Estaing tat den ersten Schritt und traf sich am 21. Mai 1980 mit Leonid Breschnew auf halbem Wege in Warschau. Natürlich wurde Giscard in den USA scharf kritisiert, weil er die über Moskau verhängte Scheinquarantäne durchbrach, aber in meinen Augen war es ein Verdienst, der Welt vor Augen zu führen,
daß man auch und gerade in zugespitzten außenpolitischen Krisen miteinander im
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