Menschen und Maechte
anderen bäte ich um eine Gelegenheit, mit den anderen führenden Persönlichkeiten der Sowjetunion zusammenzutreffen. Breschnew und ich würden ja beide nicht noch fünfundzwanzig Jahre in unseren Ämtern sein – deshalb komme es mir darauf an, die deutschen politischen Vorstellungen auch den anderen Mitgliedern der sowjetischen Führung deutlich zu machen.
Tatsächlich gestaltete sich der Besuch sowohl im äußeren Ablauf als auch im inhaltlichen Aufbau meinen Vorstellungen entsprechend. Dennoch bedeutete er für mich ein großes Risiko, wenn er auch nicht gerade ein Ritt über den Bodensee war. Mir war einerseits nicht klar, wie die Mehrheit des Politbüros reagieren würde. Zum anderen beobachteten mich viele in der Bundesrepublik wie in den USA voller Mißtrauen und verfolgten alles, was ich tat, mit scharfen Augen – jederzeit zu der hämischen Kritik bereit, man habe ja gewußt, daß der deutsche Kanzler sich hereinlegen lassen würde. Schließlich war in Deutschland wie in Amerika Vorwahlkampf – und Genscher war innerlich darauf vorbereitet, sich mit der CDU/CSU zu arrangieren. Doch auf dem Rückflug wußte ich: das Risiko hatte sich ausgezahlt.
Auf dem Wege von Wnukowo nach den Leninhügeln zeigte Breschnew in eine Richtung: dort sei das Olympische Dorf. Dies blieb die einzige Erwähnung der Spiele, an denen teilzunehmen wir soeben abgelehnt hatten. Die Eröffnungssitzung dauerte lange; sie bestand im wesentlichen aus zwei Monologen, nämlich einem langen, vorgelesenen Eröffnungsstatement des Generalsekretärs und einer ebenso langen, improvisierten Antwort meinerseits. Beide Erklärungen enthielten für die jeweils andere Seite keine wirklichen Überraschungen. Breschnew verurteilte jeden Druck auf Khomeinis Iran; Camp David habe in eine Sackgasse geführt; die Palästinenser müßten ihren Staat bekommen; Pol Pots Blutbad in Kambodscha sei China zuzurechnen, was zeige, daß sich die chinesische Politik auch unter einer neuen Führung nicht ändere.
Über Afghanistan sagte Breschnew ziemlich ruhig: »Wir kennen Ihre Meinung; es ist wohl überflüssig, zu betonen, daß wir sie ablehnen. Ihre Einschätzung der Lage beruht auf Vorurteilen
gegenüber den tatsächlichen Ereignissen. Wir konnten einem befreundeten Nachbarland unsere Hilfe nicht verweigern; seine Unabhängigkeit war bedroht, und es bestand Gefahr, daß es sich in ein militärisches Aufmarschgebiet verwandelte, das der Sowjetunion feindlich gegenübergestanden hätte … Wir werden unsere Freunde dort nicht im Stich lassen. Die Revolution des Jahres 1978 ist das Ergebnis der inneren Entwicklung Afghanistans gewesen; ohne Einmischungen von außen hätte es in diesem Land keine Unruhen gegeben. Man darf den Afghanen nicht das Recht abstreiten, selbst zu bestimmen, was ihre Regierungsform sein soll und wen sie um Hilfe bitten … Wir sind für eine politische Lösung; sie muß Verträge mit Pakistan und Iran über die Einstellung der Einmischung und der Aggression von außen einschließen … Im Rahmen der politischen Lösung wird dann auch, wenn die Gründe für unsere Hilfeleistung weggefallen sind, die Frage des Abzuges unserer Truppen gelöst werden.«
Erst eine Stunde später kam ich auf dieses Thema zu sprechen. Meine Argumentation lief darauf hinaus, daß mich die Argumente zur Rechtfertigung der sowjetischen Intervention nicht überzeugen könnten; wir sähen keine Anzeichen für eine Einmischung von außen, die die Intervention rechtfertige. »Uns scheint vielmehr, Herr Generalsekretär, daß sich die Masse der Bevölkerung gegen eine intellektuelle Minderheit auflehnt, die dem Lande ein System aufzwingen will, das die Ordnungen des Islam verletzt und dem Lande fremd ist. Aber wir sind nicht an Beschuldigungen interessiert, sondern an Auswegen aus der gespannten Lage …«
Aus unserer Sicht bedürfe es einer Reihe gleichzeitiger Maßnahmen, die in gleicher Weise den Rückzug aller sowjetischen Truppen, die Selbstbestimmung des afghanischen Volkes, eine internationale Kontrolle, die Rückkehr der afghanischen Flüchtlinge und auch die sowjetischen Sicherheitsinteressen garantieren müßten. »Wie Giscard d’Estaing Ihnen schon gesagt hat, fürchten wir eine Gefährdung des Vertrauens in Ihre Politik – aber ohne Vertrauen kann auch der Prozeß der Rüstungsbegrenzung nicht weitergehen. Nicht nur wir im Westen sind beunruhigt, das zeigen die Konferenzen in Islamabad [eine Weltkonferenz der islamischen
Staaten] und die Beschlüsse
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