Menschen und Maechte
Gespräch bleiben muß, wenn man Eskalationen vermeiden will. Natürlich konnte sich der Staatschef einer Nuklearmacht gegenüber dem Weißen Haus ein solches Treffen eher leisten als der deutsche Bundeskanzler; aber der deutsche Regierungschef konnte Giscards präjudizierendem Beispiel folgen. Und das tat ich auch – trotz scharfer Vorhaltungen Jimmy Carters, dem sein allwissender Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski eingeredet hatte, ich sei im Begriff, mich dem Neutralismus zuzuneigen. Bewußt reagierte ich sehr heftig; da ich Carters psychische Struktur durchaus zu verstehen meinte – er war ja in der Tat ein Mann, der nach unaufhörlichen Selbstprüfungen immer wieder zur Revision seiner Entscheidungen neigte –, schien mir gerade deshalb und gerade ihm gegenüber Festigkeit notwendig.
Als ich mich am 30. Juni auf den Weg nach Moskau machte, wußte man dort natürlich genau, daß wir ebensowenig von unserer bisherigen Politik, von unseren Bindungen, Verpflichtungen und Beschlüssen abweichen würden wie Giscard d’Estaing. Gromyko und Breschnew kannten unsere feste, zugleich gelassene und berechenbare Kontinuität besser als Brzezinski und Carter. Beide Russen wußten, daß Genscher und ich uns weder verlocken noch erschrekken oder gar umwerfen ließen. Übrigens haben sie Versuche in dieser Richtung nie unternommen, selbst bei dieser überaus prekären Begegnung nicht. Dagegen suchten die Sowjets immer wieder Bonn zu umgehen, uns bei Dritten anzuschwärzen, die Bundesregierung innenpolitisch unter Druck zu setzen – zum Beispiel durch als vertrauliche Indiskretion getarnte Desinformationen an Personen in meiner Partei und in kirchlichen Organisationen, an Schriftsteller und Journalisten, an die Friedensbewegung und so fort.
Mit all dem hat der Kreml meine außenpolitische Meinungs-und Willensbildung nicht beeinflußt; nur meine innenpolitische Lage hat man von dort aus mit Erfolg erschwert. Vielleicht glaubten einige Leute in Moskau, mit Strauß oder Kohl besser zurechtzukommen. Um solche Illusionen nicht erst aufkommen zu lassen, hatte ich mehrfach deutlich gemacht – sowohl vor dem Bundestagswahlkampf 1976 als auch im Jahre 1980 –, jede Bundesregierung
werde unsere Außenpolitik und Gesamtstrategie gegenüber der Sowjetunion weiterführen, wobei ich ausdrücklich den in Moskau verhaßten Doppelbeschluß nannte.
So wußte ich, daß Breschnew und Gromyko nicht damit rechneten, mich von den Prinzipien abzubringen, die ich dem Generalsekretär vorweg als Punktation über seinen Botschafter Semjonow hatte zukommen lassen. Deren Inhalt war: Ich würde in Moskau zwar nur für mein Land sprechen, aber auf der Grundlage von Positionen, die mit dem amerikanischen Präsidenten und den anderen westlichen Staatslenkern beratschlagt worden seien (das Gipfeltreffen in Venedig hatte am 22./23. Juni stattgefunden). An der deutschen Bündnistreue gegenüber der westlichen Allianz, gegenüber der Europäischen Gemeinschaft und gegenüber Frankreich werde sich weder in diesem Jahr noch in Zukunft etwas ändern. Jede deutsche Bundesregierung werde am Grundsatz des militärischen Gleichgewichts festhalten. Wir würden weiterhin unseren militärischen Beitrag dazu leisten; aber wir seien auch weiterhin bemüht, das Gleichgewicht durch beiderseitige Rüstungsbegrenzung auf niedrigeren Ebenen herzustellen. Das Problem der Mittelstreckenraketen gehöre in diesen Rahmen. Meine Auffassungen seien Breschnew bekannt; es habe sich daran nichts geändert, und es werde sich daran auch nichts ändern. Im übrigen würde ich mich in Moskau auch zu Afghanistan ausführlich äußern. Ich hatte damit geschlossen, daß uns nichts davon abbringen werde, unsere Verträge mit der Sowjetunion, einschließlich des langfristigen Wirtschaftsabkommens, sowie unsere anderen Ostverträge, das Viermächteabkommen und die Helsinki-Schlußakte ebenso peinlich genau zu erfüllen wie die Verträge mit unseren westlichen Freunden und Verbündeten.
Ich hatte erläuternd hinzugefügt, wir arbeiteten zwar zum beiderseitigen wirtschaftlichen Vorteil mit den Sowjets zusammen, aber unser Hauptmotiv sei ein politisches. Das gelte auch für den bevorstehenden Besuch, bei dem die Substanz der Gespräche das wichtigste sei; deshalb solle man protokollarisches Gepränge vermeiden. Allerdings äußerte ich zum äußeren Ablauf nachdrücklich zwei Wünsche. Zum einen wolle ich gern eine Gelegenheit zum
Gespräch mit Verteidigungsminister Ustinow haben, zum
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