Menschen und Maechte
und inhaltlich ganz und gar von Gromyko abhängig geworden.
Da in wenigen Tagen die INF-Verhandlungen zwischen Paul Nitze und Kwizinski in Genf beginnen sollten, spielten in unserem Gespräch wieder einmal die eurostrategischen Waffen eine Hauptrolle. Breschnew brachte dazu nichts von besonderer Bedeutung vor – vielleicht mit einer kleinen Ausnahme. Da einige sowjetische Stellen immer noch die Hoffnung hatten, den Willen Westeuropas zur Nachrüstung psychologisch aushöhlen zu können, und alles taten, um die westliche Nervosität zu steigern, sagte ich in einer Phase des Gesprächs: »Herr Generalsekretär, Sie müssen bitte klar sehen, im Falle eines Scheiterns der bevorstehenden Verhandlungen werde ich für das Zustandebringen einer westlichen Nachrüstung notfalls die Existenz meiner Regierung riskieren, und jede denkbare Bundesregierung wird der Stationierung neuer amerikanischer Waffen zustimmen, wenn es nicht bis Ende 1983 zu einem Durchbruch bei der beiderseitigen Begrenzung der Mittelstreckenwaffen kommt… Im Westen ist jedoch der Eindruck entstanden, die sowjetische Führung setze eher auf die Friedensbewegung als auf ihre eigenen Verhandlungen.« Breschnew und Gromyko verstanden sehr wohl, daß ich mit Absicht und aus Überzeugung so entschieden gesprochen hatte. Ähnliches hörten sie übrigens auch in ihren Gesprächen mit den Vorsitzenden der politischen Parteien der Bundesrepublik.
Dann brachten beide vielerlei Beschwerden über Reagan vor – besonders aber über Weinberger. Reagan verstanden sie ganz einfach nicht, sie hielten ihn wohl schlicht für zynisch. In Weinberger sahen sie wohl tatsächlich einen Kriegstreiber. Ich machte ihnen deutlich, Reagan seinerseits könne das sowjetische Verhalten nicht verstehen. Breschnews Vorschlag eines Moratoriums könne in Washingtons Augen doch nur bedeuten, daß es bei dem von der Sowjetunion erzielten unbestreitbaren Übergewicht in Europa bleiben solle. Schließlich sagte ich: »Ich habe Ronald Reagan einmal gesagt, Leonid Breschnew will wirklich keinen Krieg. Der will Frieden. Heute möchte ich Ihnen sagen: Ronald Reagan will ebenfalls den
Frieden. Er hat mir gesagt: ›Ich will mit den Russen verhandeln, verhandeln und immer wieder verhandeln, bis sie meinen Standpunkt begreifen.‹ Reagan wird Zeit brauchen. Auch ein erfolgreicher Gouverneur des Staates Kalifornien bringt zunächst nur etwa soviel an weltpolitischer Erfahrung mit wie Ihr Erster Sekretär in Kasachstan. In seinem Alter wird er aber richtig einzuschätzen wissen, was er sich zutrauen kann. Dann wird er gewiß, ebenso wie seine Vorgänger Nixon, Ford und Carter, mit dem ersten Mann der Sowjetunion sprechen wollen. Mit Nixon sind Sie doch am besten zurechtgekommen; Sie werden sehen, daß Reagan sich an Nixon orientieren wird.«
Auch dieses letzte Treffen wurde von der Weltpresse und von unserer eigenen Presse durchweg günstig beurteilt; das galt zu meiner Überraschung auch von der Presse Japans und sogar von der Presse Israels, wo zur Zeit von Premierminister Begin über mich nicht viel Gutes geschrieben wurde. Bonn habe zunächst Reagan zum öffentlichen Angebot einer beiderseitigen Null-Lösung gebracht und sodann Breschnew zu einem Gegenangebot. Die Welt hatte – trotz eines kleinen Restes von Mißtrauen hier und da – verstanden, daß wir dem sowjetischen Staatslenker die westlichen Abrüstungspositionen mit Festigkeit erläutert hatten und daß Breschnew diese Rolle akzeptierte. Das seien, schrieben die Zeitungen, ausreichende Ausgangspositionen für einen tatsächlichen Verhandlungsbeginn in Genf.
Ich hielt diese Urteile für zutreffend. Nur wußte ich besser als die Zeitungen, daß die Reagan-Administration in Wahrheit damals keine klare Kompromißabsicht verfolgte. Teile meiner eigenen Partei warteten unterdessen mit viel zu großer, emotional übersteigerter Ungeduld auf einen Durchbruch; sie waren deshalb geneigt, sowohl Verzögerungen als auch taktische Umsicht und Vorsicht mit Unduldsamkeit zu verfolgen. Einige gingen so weit, stillschweigend ein permanentes sowjetisches Übergewicht zu akzeptieren, indem sie die Forderung nach Gleichgewicht als von jeher gleichbedeutend mit Rüstungswettlauf denunzierten. Die Führung der SPD durch Willy Brandt ließ den Anschein der Tolerierung solcher Tendenzen zu; daß der Schein nicht getrogen hatte, erwies sich
1983, als die Führung und eine Mehrheit des Parteitages mit Emphase und Euphorie die zweite Hälfte des
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