Menschen und Maechte
Doppelbeschlusses über die Stationierung eurostrategischer nuklearer Mittelstreckenwaffen ablehnte. Herbert Wehner und ich, Verteidigungsminister Hans Apel und andere Freunde in Bundesregierung, Fraktion und Partei hatten 1982 zunehmend größere Mühe, die Bundestagsmehrheit auf die außenpolitische Vernunft einzuschwören. Gleichzeitig glaubte man in Moskau jetzt ernsthaft, mit Hilfe der Friedensbewegung den Doppelbeschluß unterlaufen und die Stationierung westlicher INF verhindern zu können.
Die Koalition aus SPD und FDP begann im dreizehnten Jahr ihrer Existenz zu zerbröckeln; Außenminister Genscher, der dabei eine durchaus aktive Rolle spielte, sprach seit dem Sommer 1981 öffentlich von der Notwendigkeit einer »Wende«. Spätestens zu Beginn des folgenden Sommers wurde auch unseren außenpolitischen Partnern in Washington und in Moskau klar, daß der Erfolg meiner parlamentarischen Vertrauensfrage im Frühjahr 1982 den Zerfall meiner Regierung nicht mehr lange aufhalten konnte.
Nach meinem Rücktritt im Oktober 1982 ging, trotz Genschers Bemühen um außenpolitische und gesamtstrategische Kontinuität, das außenpolitische Gewicht der Bundesregierung schrittweise verloren. Die beiden Weltmächte brauchten in ihrer stillschweigenden Übereinkunft, sich bei den Genfer INF-Verhandlungen nicht einigen zu müssen, auf Bonn keine Rücksicht mehr zu nehmen. Bundeskanzler Kohl war das verwirrende Spiel der zweigleisigen, aber auf beiden Gleisen durchsichtigen Diplomatie gegenüber der Sowjetunion zu kompliziert; er gab es alsbald auf und fand sich ab mit der vermeintlichen Unvermeidlichkeit der amerikanischen Nachrüstung auf westeuropäischem und damit auch auf deutschem Boden. Der Reagan-Administration kam dies gelegen, sie applaudierte. Aber es zeigte sich nach kurzer Zeit, daß ihr Respekt vor Bonn und ihr Wille zu ernsthafter Konsultation mit der für sie bequemen neuen Bundesregierung immer geringer wurden.
Um gerecht zu sein: der im November 1982 einsetzende fliegende Wechsel von Breschnew zu Andropow, dann von Andropow zu Tschernenko und schließlich im März 1985 zu Gorbatschow lud
nicht gerade zu einer aktiven Diplomatie des Westens ein. Wahrscheinlich hätte ein auf der Grundlage einer gemeinsamen Gesamtstrategie geschlossen handelnder Westen sogar große Schwierigkeiten gehabt, mit der Sowjetunion zu einem tragbaren Verhandlungsergebnis zu gelangen; denn die innere Unsicherheit der politischen Klasse in Moskau war mit Händen zu greifen. Erst als Gorbatschow fest im Sattel saß, kam es Ende November 1985 in Genf zu dem von mir seit langem befürworteten Gipfeltreffen zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem sowjetischen Generalsekretär. Die Europäer und auch die Deutschen spielten dabei aber nur noch die Rolle von freundlich applaudierenden Zuschauern. Sie hatten darauf verzichtet, ihre Interessen einzubringen – ebenso wie ein Jahr später, als sich Gorbatschow und Reagan in Reykjavik ein zweites Mal zusammensetzten, um über das Schicksal der Welt zu verhandeln.
Die Sowjetunion hat in den sieben Jahrzehnten ihres Bestehens vier große, historisch bedeutsame Staatslenker gehabt: Lenin, Stalin, Chruschtschow und Breschnew; wahrscheinlich wird Gorbatschow der fünfte. Seine vier Vorgänger waren Machtmenschen des großrussischen Typus, wie ihn einst die Moskauer Großfürsten und die Zaren verkörperten, auch wenn Stalin von Herkunft Georgier war – aber Katharina die Große war auch keine Russin, sondern eine deutsche Prinzessin gewesen. Es will mir vernünftig scheinen, auch für die überschaubare Zukunft mit solcher »russischen« Kontinuität an der Spitze der Sowjetunion zu rechnen – gleich, ob und inwieweit Michail Gorbatschow Erfolg hat mit den Reformen und Veränderungen, die er anpackt.
Gorbatschows schnelles Ausbooten einiger Alter aus dem Politbüro, die nicht wie Suslow, Kossygin, Ustinow oder auch Pelsche etwa gleichzeitig mit Breschnew, Andropow und Tschernenko gestorben waren, hat zu einer Verjüngung der Spitze geführt, und es mag sein, daß die neuen Männer beweglicher sein werden und weniger konservativ als ihre Vorgänger. Viele Sowjetbürger setzen darauf Hoffnungen. Im Interesse Deutschlands und der Deutschen in West und Ost möchte ich ihnen die Verwirklichung ihrer Hoffnungen wünschen.
Aber soweit wir im Westen diese Hoffnungen teilen, seien wir zur Vorsicht gemahnt: Die größere Vitalität jüngerer Männer im Vergleich zu ihren geistig erstarrten und
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