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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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ist eine der besten. Disziplin und Technik haben bei Ihnen einen hohen Stand, und Sie, Herr Bundeskanzler, haben dazu beigetragen … Aber Sie
sind etwas zu bescheiden in dem, was Sie über die deutsche Armee und deren eingeschränkten Aktionsradius gesagt haben.« Dann lobte er besonders den Leopard-Panzer. Aber immer wieder kam er auf den deutschen militärischen Aktionsradius zurück. Hitler habe 1941 auch keine ausgebaute Nachschuborganisation gehabt, aber die könne man in Deutschland aus dem Boden stampfen. Übrigens besäßen wir ja eine leistungsfähige Industrie, im Notfall könne diese schnell Massen von Panzern bauen.
    Das Gespräch wandte sich schließlich dem Wiener Treffen zwischen Carter und Breschnew im vergangenen Jahr zu, bei dem Ustinow und Ogarkow mit dem damaligen US-Verteidigungsminister Harald Brown und General David Jones, dem seinerzeitigen Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs, zusammengetroffen waren. Ustinow beklagte sich, daß seitdem bei MBFR kein Fortschritt zu verzeichnen sei, obgleich die Sowjetunion angeboten habe, ihre Truppen um 30 000 Mann zu reduzieren, sofern die USA die ihren um 13 000 Mann reduziere. Dies führte zu einem längeren Disput zwischen Ustinow und Genscher über die wechselseitigen Vorschläge der letzten zwölf Monate; Ustinow wußte über die Details gut Bescheid. Schließlich sagte Ogarkow: »Wenn wir so weitermachen, dann brauchen wir noch zwanzig Jahre! Warum gehen Sie nicht auf unseren Vorschlag ein, den augenblicklichen Stand einzufrieren?« Ich antwortete, ohne Verabredung einer für beide Seiten gleichen Obergrenze sei das keine akzeptable Lösung.
    Es war also letzten Endes das alte Schema: Laßt uns das bestehende Kräfteverhältnis zum Gleichgewichtszustand erklären und dies durch eine Vereinbarung verewigen. Das Gespräch über die eurostrategischen Mittelstreckenwaffen verlief ähnlich und brachte ebenfalls nichts Neues. Die beiden Marschälle behaupteten, das SS-20-Programm bedeute lediglich eine Modernisierung; meine detaillierten Hinweise auf die Vervielfachung der Bedrohung wurden mit der Behauptung zurückgewiesen, die Zahl der Abschußlafetten und die Summe aller nuklearen Gefechtsladungen (also die Summe der Detonationswerte) seien doch gleich geblieben. Ogarkow fügte hinzu, mit den amerikanischen FBS zusammen habe die NATO zweimal soviel Gefechtsköpfe wie die Sowjetunion.

    Ziemlich entschieden antwortete ich: »Herr Marschall, Sie haben auf Mittelstreckenwaffen fast dreimal so viele Sprengköpfe wie 1970. Sie können dreimal so viele Städte damit treffen, meine Vaterstadt Hamburg können Sie mit der SS 20 sogar von jenseits des Ural erreichen, was mit Ihren alten Raketen nicht möglich war. Mit allen diesen Waffen bedrohen Sie doch gar nicht die USA, vielmehr Deutschland!« An dieser Stelle ging Ustinow ein einziges Mal über die bisher eingehaltene Linie des Politbüros hinaus und antwortete lapidar: »Das ist richtig.«
    Nach einer Erörterung der sowjetischen Rüstung zur See sprach ich von der vergleichsweise kleinen Rolle der Bundesmarine. Sie werde auch in Zukunft klein bleiben, wir hätten keinerlei Ausbaupläne. Ustinow setzte dagegen, daß wir ursprünglich nur U-Boote von 350 t gebaut hätten, jetzt aber – auf angeblichen amerikanischen Druck hin – über U-Boote von 1800 t verfügten. Auch bei den anderen Schiffen hätten wir die Grenzen schrittweise nach oben verschoben und bauten inzwischen Kriegsschiffe von 6000 t. Hinzu komme, daß man technisch gesehen in Kiel, Bremen und Hamburg Kriegsschiffe aller Größen bauen könne. Ich erwiderte, seit Hitlers Zeiten seien in diesen drei deutschen Häfen niemals große Kriegsschiffe gebaut worden; spaßeshalber fügte ich hinzu, ich verpflichtete mich, ihm in diesem Fall eine Ansichtspostkarte zu schicken, zu meinen Lebzeiten werde das aber nicht geschehen. Ustinow hatte Sinn für schwarzen Humor und meinte, angesichts seines Alters werde er eine solche Postkarte wohl nicht mehr erhalten. Moskau müsse dennoch mit dem Potential der deutschen Werften rechnen.
    Beide Marschälle machten intellektuell einen vorzüglichen Eindruck. Sie waren außerdem gut informiert und brauchten für kein Detail eine Unterlage. Sie wirkten in diesem locker und in kollegialem Ton geführten Gespräch souverän, aber keinesfalls überheblich. Mein spontaner Eindruck war: das sind Männer von einem Kaliber, das dem ihrer westlichen Kollegen in keiner Weise unterlegen ist. Was die Argumentation

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