Menschen und Maechte
Ordnungsvorstellungen aufzuzwingen.« Die Russen wollten Frieden und Koexistenz, sie wollten auch Zusammenarbeit mit dem kleinen deutschen Nachbarn. Die Deutschen vertraten glaubwürdig dieselben Ziele, aber sie wollten diese Ziele nicht zu russischen Bedingungen. Dies wiederum hatten die Russen begriffen und akzeptiert.
Das Echo auf das Juli-Treffen in Moskau war im Inland wie im Ausland gleicherweise stark. Niemand hatte erwartet, daß die Sowjetunion in Sachen Afghanistan entgegenkommen werde; Bonn hatte in Westasien schließlich nur geringe Interessen. Aber daß die Tür für Rüstungsbegrenzungsgespräche wieder geöffnet werden konnte, wurde als großer Erfolg gewertet. Jimmy Carter sprach – nach der Unterrichtung durch Genscher – am 3. Juli öffentlich von »Anerkennung und Bewunderung« für den deutschen Bundeskanzler, was ganz im Gegensatz stand zu dem vorher von ihm und Brzezinski öffentlich geäußerten Mißtrauen. Eine Bundestagsdebatte am folgenden Tage, in welcher der Oppositionsführer Dr. Kohl schweigsam blieb, während der damalige Kanzlerkandidat Strauß in einer wenig überzeugenden Rede am Moskauer Treffen herumkritisierte, sorgte schließlich dafür, daß dieses auch innenpolitisch zu einem vollen Erfolg der Bundesregierung wurde.
Es bleibt noch ein Moskauer Zwischenakt nachzutragen, der – wenngleich er für das Ergebnis der Verhandlungen nicht mehr wesentlich war – einige interessante Einblicke in das sowjetische Denken ermöglichte. Entsprechend meinem Wunsch kam es am 1. Juli 1980 zu einem zweistündigen Gespräch mit Marschall Ustinow, der von Marschall Ogarkow und drei oder vier weiteren Generalen, darunter einem Admiral, begleitet war. Auf unserer Seite nahmen Genscher, mein Freund Klaus Bölling (damals Staatssekretär und Sprecher der Bundesregierung) und unser Moskauer Botschafter Wieck teil, der mir schon zehn Jahre zuvor im Verteidigungsministerium auf der Hardthöhe ausgezeichnete Dienste geleistet hatte.
Ustinow, der im 71. Lebensjahr stand, war eigentlich ziviler Rüstungsmanager gewesen; der etwa sechzigjährige Ogarkow hatte eine rein militärische Laufbahn hinter sich. Schon mit dreiunddreißig Jahren war Ustinow, ein ehemaliger Metallarbeiter, unter Stalin Volkskommissar für Rüstung geworden; er hatte dieses Amt während der gesamten Dauer des Krieges erfolgreich ausgeübt und bis 1957 beibehalten, insgesamt anderthalb Jahrzehnte. Danach war er in der Hierarchie weiter aufgestiegen; seit 1976 war er als Mitglied des Politbüros Verteidigungsminister. Ohne ihn ist der beispiellose Aufbau der Flotte, der Raumfahrt und der Raketenstreitmacht nicht zu denken. Seinen Marschallrang verdankte er, genau wie Breschnew, dem Willen der Partei, ihren politischen Primat über das Militär zum Ausdruck zu bringen. Als ich am Abend zu Breschnew eine Bemerkung über mein Gespräch mit den beiden Marschällen machte, erwiderte er: »Ja – aber Ustinow ist gar kein Militär, er ist unser Mann!«
Abb 11 Auf Wunsch Helmut Schmidts kam es am 1. Juli 1980 zu einem ausführlichen Gespräch mit Verteidigungsminister Marschall Ustinow; neben Ustinow (halb verdeckt) Marschall Ogarkow.
Abb 2 Anderthalb Jahre später, Ende November 1981, kam es in Bonn zur letzten persönlichen Begegnung zwischen Leonid Breschnew und Helmut Schmidt.
Ustinow eröffnete unser Gespräch mit der Bemerkung, mein Buch »Strategie des Gleichgewichts« sei ins Russische übersetzt worden und er habe große Teile davon gelesen. Einige Gedanken darin seien offenkundig vernünftig und einsehbar, über andere hingegen könne man streiten. Im weiteren Verlauf des Gespräches suchte ich ihm deutlich zu machen, daß die Bundeswehr zwar gut bewaffnet und kampffähig, ihrer technischen Ausrüstung wegen und auf Grund ihrer begrenzten Mobilität aber zu Vorstößen in grenzferne Räume gar nicht in der Lage sei. Unsere Armee sei dazu bestimmt, auf eigenem Boden mit geringem räumlichem Aktionsradius zu kämpfen. Mir liege daran, daß er und seine Fachleute sich davon überzeugten. Ich hätte dies Breschnew schon vor sechs Jahren vorgetragen, aber den Eindruck gewonnen, der Generalsekretär sei skeptisch geblieben.
Ustinow sagte ohne Zögern: »Wissen Sie, Leonid Breschnew ist über militärische Fragen gut informiert, er kennt sich darin aus. Deshalb kann er gut beurteilen, was Sie ihm vorgetragen haben … Was das Menschenmaterial, die Technik und die Organisationsstruktur betrifft, so sind wir der Meinung, Ihre Armee
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