Menschen und Maechte
Gromykos de facto stark verändert, aber die Breschnew-Doktrin von der eingeschränkten Souveränität der dem sozialistischen Lager angehörenden Staaten, welche den Einmarsch in die ČSSR rechtfertigen sollte, die forcierte Aufrüstung, das politische, militärische und ökonomische Ausgreifen in den Mittleren Osten, nach Ost-, Südost- und Westafrika wie auch nach Afghanistan und Nicaragua, all dies bleibt einstweilen von der Kritik ausgespart.
Natürlich ist es denkbar, daß die Rücksicht auf das Staatsoberhaupt Andrej Gromyko dabei eine Rolle spielt. Gromyko war unter Breschnew lange Jahre hindurch der Exekutor der Außenpolitik, er ist erst 1973 Vollmitglied des Politbüros geworden. Am 11. März 1985 hat er dem Politbüro die Wahl Gorbatschows zum Generalsekretär vorgeschlagen. Er scheint auch heute im Politbüro eine jedenfalls für die Außenpolitik wichtige Rolle zu spielen; Jakowlew, Schewardnadse oder Dobrynin stehen als Außenpolitiker wohl eher im zweiten Glied.
Ich besuchte Gromyko privat im Februar 1987, als ich auf Einladung meines Freundes Kurt Körber zu einer deutsch-sowjetischen Diskussion des von ihm ins Leben gerufenen Bergedorfer Gesprächskreises zum ersten Mal seit fast sieben Jahren wieder in Moskau war. Wir haben uns beide über das Wiedersehen gefreut; Gromyko wirkte entspannt, gelassen, heiter, er war bisweilen sogar witzig. Natürlich sprachen wir über alte Zeiten; Gromyko erinnerte an unser erstes Zusammentreffen achtzehn Jahre zuvor im Spiridonowkapalais, gemeinsam mit Alex Möller und Egon Franke. Wir sprachen über Adenauer, Foster Dulles, Walter Scheel und Egon Bahr; natürlich auch über die aktuellen außen- und abrüstungspolitischen Probleme, über das deutsch-sowjetische Verhältnis und über die wirtschaftlichen Reformabsichten Gorbatschows. Aber der Name Breschnew kam nicht vor.
Ein letztes Wort zu Breschnew: Als ich am 10. November 1982 von seinem Tode erfuhr, war ich aufrichtig betrübt; ich hatte mit diesem teils harten, teils sentimentalen russischen Führer eine lange gemeinsame Geschichte. Sein Friedenswille war ernst; aber
ebenso ernst hatte ich seinen Willen zur Ausdehnung der Sowjetmacht nehmen müssen. Das ideologisch-philosophische Fundament Breschnews war nur schmal, aber ihm eignete ein sicherer Instinkt für den Vorteil seines Staates. Militärische Überlegenheit der Sowjetunion und Friedenswille behinderten sich in seinem Verständnis nicht. Ob er die militärischen Lagebilder und Statistiken sowie die daraus abgeleitete Notwendigkeit zur Aufrüstung der Sowjetunion, welche ihm seine Militärs vorlegten, immer durchschaute, habe ich bisweilen bezweifelt; zumal in seinen letzten Jahren kann dies nicht oder nicht mehr der Fall gewesen sein.
Bruno Kreisky hat mir gegenüber 1983 einmal bemerkt, es liege eine Tragik darin, daß während einer Reihe von Jahren zunächst Breschnew vom weltpolitischen Prozeß nichts mehr begriffen habe; nun sei ihm in Andropow ein fähiger, hochintelligenter Mann nachgefolgt, jetzt aber habe der Mann an der Spitze der USA leider nur wenig Sachliches zu bieten. Ich habe diesem harten Urteil nur schwach widersprechen können; ich wies lediglich auf die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Abschuß des koreanischen Verkehrsflugzeuges hin und fügte meine Zweifel hinzu, ob Andropow gegenüber dem Militär wirklich im vollen Besitz der vollziehenden Gewalt sei.
Innenpolitisch traf Kreiskys Charakterisierung der letzten Jahre der Breschnew-Ära gewiß zu. Der stark gealterte kranke Generalsekretär wollte keine Neuerungen mehr und keine Kämpfe; er hatte sich mit der Schwerfälligkeit der Bürokratie abgefunden, er wollte seine Ruhe haben. Den äußeren Frieden seines Staates glaubte er gesichert zu haben, und den inneren Frieden wollte er nicht durch Veränderungen stören. Die Leute um Gorbatschow haben wohl recht, wenn sie die zweite Hälfte der Amtszeit Breschnews als eine Periode der innen- und wirtschaftspolitischen Stagnation ansehen.
Grundlegende Reform durch Gorbatschow?
Wenn Reagans Landsleute ihren Präsidenten gern einen hervorragenden »communicator« nennen, so trifft dieses Wort in gleichem Maße auch auf Gorbatschow zu. Er spricht überzeugend; seine fernsehgerechten Reden erzielen große Wirkung – nicht nur beim sowjetischen Publikum, sondern ebenso im östlichen Teil Europas, wo man erhebliche Hoffnungen auf ihn setzt, vor allem aber beim Publikum im Westen Europas, ja im Westen schlechthin. Er liest keine
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