Menschen und Maechte
sprach – ebenso wie Falin – zu meiner Überraschung ausführlich über die Abhängigkeit der ökonomischen Entwicklung der Sowjetunion vom Gang der Weltwirtschaft; ökonomische Sicherheit durch Autarkie sei nicht mehr denkbar, wirtschaftliches Elend in einem Lande führe auf Grund internationaler Interdependenz zu Fehlschlägen in anderen Ländern; sie erläuterte dies anhand von Beispielen. Diesen in der Tat zutreffenden Hinweis auf die außenwirtschaftliche Verletzbarkeit der Sowjetunion hatte ich aus sowjetischem Munde früher nie so gehört. Er enthielt indirekt die neue, zutreffende Erkenntnis, daß die beabsichtigte wirtschaftliche Umgestaltung im Ergebnis durchaus auch vom Verlauf der weltwirtschaftlichen Prozesse abhängig ist.
Die Schwerpunkte des sowjetischen Exports lagen bisher bei Öl und Erdgas (ihr Anteil am sowjetischen Export in die Bundesrepublik Deutschland betrug in den letzten Jahren rund 80 Prozent). Die kolossalen Auf- und Abwärtsbewegungen der Weltmarktpreise für diese beiden Energieträger seit 1973 und ebenso die starken Schwankungen des amerikanischen Dollars, in dem sie notiert und kontrahiert werden, hat die Kontinuität der sowjetischen Wirtschaft schwer getroffen, weil die Devisenerlöse des Landes entsprechend stark fluktuierten. Jetzt ist vom künftigen Ausbau des Exports von Industrieerzeugnissen die Rede, von joint ventures, die gemeinsam mit ausländischen Unternehmungen zu diesem Zweck begründet werden sollen, von Freihandel, vom erhofften Beitritt zum IMF und zum GATT; man beschwert sich über Embargos und Cocom-Listen. Man spricht sogar davon, daß sowjetische Industriegroßbetriebe
künftig über 30 Prozent der Devisenerlöse ihrer in Eigenverantwortung durchzuführenden Exporte selbst sollen verfügen dürfen.
Natürlich könnte eine stärkere außenwirtschaftliche Orientierung der Sowjetunion und eine stärkere Einbindung in die Arbeitsteiligkeit der Weltwirtschaft durchaus auch positive Auswirkungen auf die künftige Außenpolitik Moskaus herbeiführen. Einstweilen aber ist die Sowjetunion noch weitgehend binnenwirtschaftlich orientiert. Nur sofern es ihr tatsächlich gelingt, weltmarktfähige Industrieprodukte in größerem Umfang in Hartwährungsländer zu verkaufen, wird ihre binnenwirtschaftliche Modernisierung von einem Ausbau des Außenhandels profitieren können – aber hier steht noch ein sehr weiter Weg bevor.
Ein Erfolg von Gorbatschows Wirtschaftsreformen liegt im Interesse aller Nachbarn der Sowjetunion und der ganzen Welt; denn ein Fehlschlag würde die Aktivität Moskaus wahrscheinlich auf das internationale machtpolitische Feld zurückverlagern. Es wäre jedoch illusorisch, sich als Deutscher von einer Ausweitung des Rußlandhandels mehr als bloß punktuelle Anregungen für unsere eigene industrielle Beschäftigung zu versprechen; denn die Ausgangsbasis, die im Inland wie im Ausland (vor allem in den USA) oft völlig überschätzt wird, ist dafür viel zu klein: Der Anteil unserer Exporte in die Sowjetunion am deutschen Gesamtexport liegt bei lediglich 2 Prozent, das heißt, er ist nicht einmal halb so groß wie unsere Exporte in eines unserer kleinen Nachbarländer wie Österreich oder die Schweiz.
Die Grafik zeigt, wie bescheiden sich der deutsche Rußlandhandel im Verhältnis ausnimmt. Dennoch ist die Bundesrepublik Deutschland seit langem der wichtigste Westhandelspartner und damit die wichtigste Devisenquelle für die Sowjetunion. Es liegt im politischen Interesse der Bundesrepublik, daß wir diese Vorzugsposition behalten; sie eröffnet vermutlich auch in Zukunft Möglichkeiten, das ökonomische Interesse Moskaus am Ausbau sowjetischdeutscher Wirtschaftsbeziehungen zu sowjetischen Zugeständnissen auf dem Felde der nationalen deutschen Interessen zu nutzen.
Angesichts der bisher sehr geringfügigen Exportleistungsfähigkeit der Sowjetunion einerseits und andererseits wegen geringer Neigung Moskaus zu internationaler kommerzieller Verschuldung ist mit einer schnellen Steigerung sowjetischer Importe nicht zu rechnen. Von daher sind – abgesehen vielleicht von einigen technologischen Schlüsselgütern – keine schnellen Impulse für Umbau und größeres Wachstum der sowjetischen Wirtschaft zu erwarten. Vielmehr müssen Modernisierung und Wachstum in erster Linie aus der Binnenwirtschaft kommen. Eine Umverteilung der Ressourcen würde daher wohl am schnellsten zum Erfolg führen: Die Rangordnung der vier Hauptsektoren Rüstung, Investition,
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