Menschen und Maechte
Konsumgüter und Industriegüter müßte mindestens zu Lasten der Rüstung verändert werden. Der noch von Stalin herrührende, seit über vier Jahrzehnten andauernde Sicherheitskomplex der sowjetischen Führungsschichten und ihre militärische Obsession sind der Hauptgrund für das immer noch kümmerliche wirtschaftliche Wachstum. Ich neige zu der Annahme, daß hier ein Hauptmotiv für Gorbatschows erfreuliche Kursänderungen in der sowjetischen Abrüstungs-und Rüstungsbegrenzungspolitik liegt. Zwar wird angesichts der starken Stellung des sowjetischen Militärs ein solches Motiv bisher keineswegs ausgesprochen. Ich kann mir aber gut vorstellen, daß die sowjetische Generalität über die Vorschläge, die Gorbatschow seit Ende 1986 in Reykjavik vorgelegt hat, erheblich beunruhigt ist.
Exporte der Bundesrepublik
(Quelle: Statistisches Bundesamt)
In Reykjavik haben sowohl Gorbatschow als auch Reagan einen schweren Fehler begangen, und nach Abschluß ihrer Unterhaltungen haben sie gemeinsam noch einen dritten Fehler obendrauf gesetzt. Gorbatschows Fehler war, die westliche Supermacht und ihren Chef mit einem umfassenden Abrüstungsangebot überraschen zu wollen. Seine Erwartung konnte realistischerweise nicht darin bestehen, an Ort und Stelle eine flächendeckende Abrüstungsvereinbarung mit Reagan zustande zu bringen; er konnte lediglich hoffen, weltweit den taktisch-agitatorischen Vorteil einzuheimsen, einen dem Anschein nach überzeugenden Vorschlag gemacht zu haben, der durch Reagan zurückgewiesen wurde (und zwar wegen dessen Vorhaben, mittels SDI die amerikanische Nation aus dem nuklearen Kriegsrisiko auszuklammern).
Reagans Fehler bestand darin, sich ohne gehörige Vorbereitung an Ort und Stelle auf Verhandlungen über Gorbatschows umfassendes Vorschlagspaket einzulassen. Der amerikanische Präsident hätte durch eine Reihe von Fragen sich ein umfassendes Bild von den Vorschlägen, deren Vorzügen und Nachteilen verschaffen, ernsthafte Prüfung zusagen und ein weiteres Treffen binnen acht oder zehn Wochen anbieten müssen; statt dessen hat er zugelassen, daß der Eindruck erweckt werden konnte, als ob ein konstruktiver Abrüstungsvorschlag der Sowjetunion lediglich an der fixen Idee von SDI gescheitert sei.
Der gemeinsame Fehler beider Staatslenker bestand darin, daß sie ohne neue Terminverabredung, ja sogar ohne gemeinsames Pressekommuniqué auseinandergegangen sind, um anschließend – zwar getrennt, wohl aber im Ergebnis übereinstimmend – den Fehlschlag ihrer Verhandlungen zu verkünden. Beide Seiten haben danach sehr schnell begriffen, daß weder ihre eigene Nation, weder ihre Verbündeten und Klienten noch die Welt insgesamt bereit sein konnte, die übereinstimmende Verkündigung des Fehlschlages als ausreichende Bemühung anzuerkennen. Unzufriedenheit und zum Teil heftige Kritik machten sich breit; deshalb beeilten sich beide Regierungen alsbald, den negativen Eindruck mit dem Versprechen, sich neu zu bemühen, wieder zu verwischen. Beiden Regierungen ist klargeworden, daß es nicht mehr bloß um Versprechungen gehen kann, sondern daß ein tatsächliches Abkommen dringend notwendig ist.
Für beide Staatslenker waren es jedoch in der Hauptsache vermutlich innenpolitische Erwägungen, die 1987 zur Wiederaufnahme ernsthafter Gespräche zur Rüstungsbegrenzung geführt haben. Gorbatschow hat zweifellos die wirtschaftlichen Reformbeispiele sorgfältig studiert, die ihm bei halbwegs vergleichbaren Ausgangssituationen zur Verfügung stehen: Lenins Neue Ökonomische Politik (NEP), die Wirtschaftsreformen Deng Xiaopings und die über längere Zeiträume schrittweise entwickelte Wirtschaftspolitik unter Kádárs Führung in Ungarn. Er bedarf eines Abrüstungserfolges speziell aus ökonomischen Gründen.
Gorbatschows Opposition gegen Reagans SDI-Pläne ist ebenfalls im wesentlichen ökonomisch begründet. Technisch ist die
Sowjetunion fähig, vom Panzer über Kampfflugzeuge bis zu raketentragenden U-Booten, Kampfsatelliten und Antiraketensystemen gleichwertiges militärisches Gerät zu entwickeln und zu produzieren; in aller Regel bleibt ein westlicher Vorsprung auf nur wenige Jahre begrenzt. Allerdings ist in der Sowjetunion immer ein größerer wirtschaftlicher Aufwand erforderlich, um das gleiche Ergebnis zu erzielen. Gorbatschow muß nicht fürchten, auf dem Felde von SDI etwa in der Rüstungstechnik mit den USA nicht gleichziehen zu können; wohl aber muß er fürchten, daß ihn ein Wettlauf auf
Weitere Kostenlose Bücher