Menschen und Maechte
recht bekommen, die seinerzeit den Doppelbeschluß abgelehnt haben.
Bei Drucklegung dieses Buches ist der Ausgang der sowjetischamerikanischen Verhandlungen und der innerwestlichen Meinungsverschiedenheiten über die Null-Lösung durchaus ungewiß. Wir Deutschen im Westen wie im Osten müßten tief betroffen und besorgt sein, wenn der angestrebte Vertrag vereitelt werden würde. Wir wissen beide, daß Verträge der Vertragspartnerschaft bedürfen. Wir wollen beide Partner zum Frieden sein. Wir wollen beide unsere Supermächte im Westen wie im Osten als Partner zum Frieden und nicht als Scharfmacher.
Nachbarschaft
Gegenwärtig ist die Gefahr eines Krieges in Europa nicht sehr groß, aber sie ist nicht gleich Null. Durch beiderseitige Aufrüstung wird diese Gefahr keineswegs geringer. Es gibt kein Patentrezept, den »ewigen Frieden« zu garantieren, den Immanuel Kant uns als erstrebenswerte Utopie vor Augen geführt hat. Vielmehr will ich gern einräumen, daß meine Zielvorstellung eines annähernden Gleichgewichts konventioneller – wie auch nuklearer – Truppen und Waffen zu Lande, zu See und in der Luft den Frieden noch nicht garantieren kann; Hitler war zahlenmäßig unterlegen, als er fast
alle europäischen Nachbarstaaten angriff. Aber die Gefahr politischer oder militärischer Überwältigung durch einen mächtigen Nachbarn ist im Falle des Gleichgewichts kleiner.
Zum Gleichgewicht muß hinzukommen der Wille, miteinander zu reden, einander zuzuhören und Verträge zu schließen. Die Sowjetunion, zumal unter ihrem gegenwärtigen Staatslenker Gorbatschow, ist kein kriegslüsterner Staat. Aber die Geschichte generationenlanger russischer Expansion darf uns nicht dazu verführen, die heutige Sowjetunion für einen Wohltäter der Menschheit zu halten; sie ist auch heute und morgen ein gefährlich mächtiger, großer Nachbar. Aber sie ist nicht unser »Feind«; deshalb habe ich als Inhaber der Befehls-und Kommandogewalt seinerzeit den Gebrauch des Wortes »Feindbild« untersagt.
Die Wirkungen, welche Gorbatschow bisher ausgelöst hat, in Osteuropa, in Westeuropa und in den USA, sind ihrer Zwiespältigkeit wegen hochinteressant. Die große Mehrheit der Bürger in den osteuropäischen Klientenstaaten der Sowjetunion verbindet mit Gorbatschow die Hoffnung, sein Reformprozeß werde auch in ihren eigenen Staaten zu Auflockerungen und Erleichterungen führen. Einigen Tschechen erscheint Gorbatschow als eine Art neuer Dubček, zwei Jahrzehnte nach dem »Prager Frühling«; aus dem gleichen Grunde fürchten die gegenwärtigen Machthaber um Štrougal und Bilak eine zu weitgehende Reform durch den sowjetischen Generalsekretär. Ähnlich sieht es in einigen Köpfen in Ost-Berlin aus. Anders jedoch in Budapest und in Warschau: Kádár und Jaruzelski setzen Hoffnungen auf Gorbatschows Reformen, sie versprechen sich für ihre eigene Reformpolitik einen größeren Spielraum und eine nachlassende Bevormundung durch Moskau. Daß Gorbatschow den Staatslenkern oder den kommunistischen Führungskadern Osteuropas einige zusätzliche Entscheidungsfreiheiten einräumen könnte, wäre denkbar. Er könnte sogar einige zusätzliche Annäherungen zwischen Ost- und Westeuropa zulassen; schließlich spricht er selbst von dem »europäischen Haus«, zu dem er auch die Sowjetunion rechnet.
Die politischen Chefs der osteuropäischen Staaten werden jedoch zweierlei zu bedenken haben. Zum ersten wird auch Gorbatschow –
sosehr er gegenwärtig die expansionistische Gesamtstrategie seines Staates zu dämpfen im Begriff zu sein scheint – keineswegs zulassen, daß Staaten des Warschauer Paktes sich aus dem militärischen Verbund und aus der ihnen von Moskau oktroyierten gemeinsamen Strategie lösen. Wer dies versuchen sollte, wird es wahrscheinlich teuer bezahlen. Die Tatsache, daß man Ceauşescu seine eigenwilligen außen-und innenpolitischen Eskapaden bisher durchgehen ließ, ist kein Gegenbeweis; zum einen rechnet man in absehbarer Zeit mit seiner Ersetzung, zum anderen kann er außerhalb Rumäniens der Sowjetunion kaum schaden – und im Notfall sind sowjetische Truppen in nächster Nähe. Dies letztere gilt ebenso für die an westlich-demokratische Staaten angrenzenden Warschauer-Pakt-Staaten Ungarn, die ČSSR und die Deutsche Demokratische Republik, auf deren Boden eine größere Anzahl sowjetischer Truppen stationiert ist. Besonders die Führung der DDR wird auch aus diesem Grunde und nicht allein aus innenpolitischen Erwägungen
Weitere Kostenlose Bücher