Menschen und Maechte
Dabei habe ich viele amerikanische Freunde gewonnen, für deren großzügige Gastfreundschaft – auch intellektuell – ich zeitlebens dankbar bleiben werde.
Erste Eindrücke von Amerika
In meiner Schulzeit hatte ich über Amerika so gut wie nichts gelernt – abgesehen von der Monroedoktrin, der Rolle der USA im Ersten Weltkrieg, Wilsons Vierzehn Punkten und dem Schwarzen Freitag an der New Yorker Börse 1929. Mit der amerikanischen Literatur sah es nur wenig besser aus; ich hatte – außerhalb der Schule – Melvilles »Moby Dick« gelesen, als Kind natürlich »Onkel Toms Hütte«, auch »Tom Sawyer«, »Huckleberry Finn« und Kurzgeschichten von Mark Twain; dann ein paar Bücher von Jack London und Gruselgeschichten von Edgar Allan Poe; den tiefsten Eindruck hatte Thornton Wilders »Die Brücke von San Luis Rey« hinterlassen.
Aber von der amerikanischen Revolution, von der Unabhängigkeitserklärung, der Erklärung der Menschenrechte, von Thomas
Jefferson, Benjamin Franklin oder George Washington hatte die damals in Deutschland heranwachsende Jugend keine Ahnung; wir wußten natürlich nichts von der amerikanischen Demokratie oder von Alexis de Tocqueville, nichts von der Sklavenbefreiung unter Abraham Lincoln, und fast ebensowenig hatten wir von der großartigen amerikanischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts gehört.
Franklin D. Roosevelt wurde uns als »Plutokrat« dargestellt, was soviel heißen sollte wie: Exponent der Herrschaft des großen Geldes. Diese am Vulgärmarxismus anknüpfende Verächtlichmachung des amerikanischen Kapitalismus fiel bei mir auf fruchtbaren Boden; denn meine Tante Marianne, eine Schwester meiner Mutter, berichtete aus eigener Erfahrung nichts Gutes. Sie war der Depression wegen kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges aus den Vereinigten Staaten nach Hamburg zurückgekehrt, nachdem sie sich als gescheiterte Sängerin fünfzehn Jahre lang mit Klavierunterricht in Minnesota durchgeschlagen hatte. Es war ihr dabei nicht eben gut ergangen; sie redete zwar anerkennend über ihre amerikanischen Freunde und über unsere Verwandten in Duluth, welche sie aufgenommen und ihr immer wieder geholfen hatten. Aber sie brachte auch sehr negative Eindrücke mit. Mit einem Wort: Bei Kriegsausbruch waren meine Kenntnisse über Amerika äußerst gering, und sie hatten, was meine wirtschaftlichen und sozialen Vorstellungen anging, einen negativen Akzent.
Erst die antiamerikanische Hetzpropaganda während des Krieges ließ mich ahnen, daß die USA auch ihre guten Seiten haben mußten – warum sonst gab sich Goebbels solche Mühe, sie in unseren Augen herabzusetzen? Schon zu Beginn von Hitlers Rußlandfeldzug im Juni 1941 wußte ich, dies wird unser Ende; ich erinnerte mich an Napoleons Zug nach Moskau, an seinen katastrophalen Rückmarsch; die Weiten Rußlands erschienen mir unüberwindlich. Ich hatte damals einen Streit mit einem Onkel, der zutiefst empört war, als ich ihm im Sommer 1941 erklärte, nach Kriegsende würden wir Deutschen alle in Erdlöchern und bestenfalls in Baracken leben. Als Hitlers Hybris im Dezember 1941 den Eintritt der USA in den Krieg gegen Deutschland provozierte,
erinnerte ich mich an Amerikas kriegsentscheidende Rolle 1918. Ich war entsetzt und fühlte mich in meiner Baracken-Prognose nur bestätigt. Damals standen wir tief in Rußland, kurz vor Moskau; und doch kämpften wir schon ums Überleben und darum, nicht in Kriegsgefangenschaft zu geraten. Also haben wir Soldaten unsere Gedanken über die größeren Zusammenhänge beiseite geschoben.
Erst drei Winter später, nach dem Zusammenbruch der Ardennen-Offensive, welche in Amerika »Battle of the Bulge« genannt wird, bin ich zum ersten Mal Amerikanern begegnet. Genauer gesagt: ich bin ihrem Artilleriefeuer, ihren »Thunderbolts« und »Lightnings« begegnet, aber ich habe keinen einzigen amerikanischen Soldaten gesehen. Sie griffen immer erst an, wenn wir durch massivstes Artilleriefeuer und durch drückende amerikanische Luftherrschaft – die amerikanische Luftwaffe hatte geradezu ein Monopol von der Morgen- bis zur Abenddämmerung – zermürbt waren und uns zurückgezogen hatten. Ich hielt den Kampf gegen die Amerikaner und Engländer für unsinnig und sagte meinem Kommandeur, man solle doch die Amis so weit wie möglich nach Deutschland hereinlassen und sich auf die Abwehr der russischen Armeen konzentrieren. Er lehnte das entrüstet ab, zeigte mich aber nicht an. Vielleicht glaubte auch er – wie
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