Menschen und Maechte
Stunde noch einmal zur deutsch-amerikanischen Freundschaft…«
In beiden Reden lag mir besonders am Herzen, sowohl unsere westlichen Freunde und Verbündeten als auch unsere östlichen Nachbarn der Stetigkeit deutscher Außen- und Sicherheitspolitik zu versichern, an der sich auch in Zukunft nichts ändern werde. Mancher Zuhörer mag das riskant gefunden und seiner Regierung zu Hause einen hinsichtlich der Zukunft mit Fragezeichen versehenen Bericht geliefert haben. Ich jedoch fühlte mich auf Grund meiner Analyse der deutschen Lage in meiner Prognose ziemlich sicher. Und jahrelang hatte ich betont: Ohne Stetigkeit, ohne Berechenbarkeit unseres Landes wären seine Sicherheit und seine Interessen gefährdet.
Die Regierung Kohl hat sich tatsächlich um Stetigkeit bemüht, wenn auch nicht umsichtig genug; eine für ihn selbst neue persönliche Deutschlandpolitik signalisierte auch die Einordnung von Franz Josef Strauß in diese Stetigkeit. Daß Moskau 1984 eine andere Einschätzung der Lage zu verbreiten suchte, geht nur zum Teil auf das Konto von Kohl oder Genscher oder Strauß. In der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik hat weder 1982 noch 1983 oder später eine »Wende« stattgefunden, auch wenn zur Schau gestelltes gegenseitiges Schulterklopfen von Präsident Reagan und Kanzler Kohl zeitweilig danach ausgesehen haben mag.
Ganz anders entwickelte sich die Situation jedoch in den USA. Die Präsidentenwechsel 1969 von Johnson zu Nixon, 1977 von Ford zu Carter und 1981 von Carter zu Reagan haben erhebliche Veränderungen der Außen- und Sicherheitspolitik der USA mit sich gebracht; in den letzten beiden Fällen waren die Interessen Europas und Deutschlands stark berührt. Jimmy Carter gefährdete schon in seinen ersten außenpolitischen Handlungen eine der wichtigsten Voraussetzungen jener Verhandlungspolitik, die er gegenüber der Sowjetunion ins Auge gefaßt hatte. Er unterminierte, ohne dies zu wollen oder auch nur zu erkennen, das sowjetische Vertrauen in die Kontinuität der strategischen Ziele und Absichten Amerikas. Mir bleibt unvergeßlich, wie Carter im Mai 1977 mich im privaten Gespräch fragte: »Helmut, können wir beide nicht die Mauer in Berlin beseitigen?« Verblüfft fragte ich zurück: »Wie? Auf welchem Wege?« Carters Antwort: »Ich dachte, Sie hätten vielleicht ein Rezept dafür.« Natürlich hatte weder ich noch sonst jemand im Westen ein Rezept.
So sah ich, wie wenig mein Gegenüber von der Lage im gespaltenen Europa und von der Macht der Sowjetunion und deren Interessen verstand. Als Carters Nachfolger Ronald Reagan von der Sowjetunion öffentlich als vom »Reich des Bösen« sprach und seiner Abneigung freien Lauf ließ, als man sich in Washington das Ziel militärischer »Überlegenheit« über die Sowjetunion zu setzen schien, hat mich diese abermalige Naivität nicht minder bestürzt; sie war dieses Mal in das andere Extrem umgeschlagen.
Carter erklärte seinen europäischen Verbündeten, aber auch der Sowjetunion unverhohlen, die SALT-Politik seiner beiden Amtsvorgänger Nixon und Ford sei unzureichend gewesen; tatsächlich waren sie jedoch von einer realistischen Politik zur Begrenzung strategischer Rüstungen ausgegangen, einer Politik, die wir, die europäischen Regierungen, gestützt und für die wir öffentlich unsere Autorität eingesetzt hatten. Jetzt sollte alles ganz anders und ganz neu verhandelt werden.
Vier Jahre später, nachdem wir loyal Carters neue SALT-Politik gestützt hatten, erklärte uns sein Nachfolger Reagan, auch Carters SALT-Politik sei falsch gewesen; überhaupt sei das ganze Konzept
der Entspannungspolitik völlig illusionär. Dies waren keineswegs die einzigen Wechselbäder, denen die europäischen Verbündeten und ebenso die Politiker im Kreml ausgesetzt wurden. Denn sogar während der Amtsperioden beider Präsidenten gab es einschneidende außenpolitische Wendemanöver, ebenfalls mit erheblicher Bedeutung für deutsche Interessen. Bonn mußte auf alle diese Wechsel reagieren – wie übrigens auch Paris, London und die übrigen NATO-Staaten. Dazu bedurfte es sowohl der Kompromißbereitschaft als auch der eigenen Beharrlichkeit. Davon will ich berichten.
In allen Phasen, selbst in den vielen Kehrtwendungen, habe ich die Vitalität der amerikanischen Nation immer bewundert, und ein Quentchen Neid habe ich nie unterdrücken können. Diese Vitalität wird von Optimismus und moralischem Idealismus getragen. Eine ihrer Wurzeln liegt
Weitere Kostenlose Bücher