Menschen und Maechte
Leutnant Tenenbaum aus New York war der Sohn jüdischer Emigranten aus Polen. Er verdient ein Denkmal in der deutschen Wirtschaftsgeschichte.
Das andere Ereignis war die Bekanntschaft mit einem Amerikaner, der eigentlich ein deutscher Jude aus Hamburg war, Eduard Heimann von der New School of Social Research in New York. Vorträge dieses großartigen Universitätslehrers, vor allem bis tief in die Nacht reichende Unterhaltungen mit ihm haben mir den Blick geöffnet und erweitert. Ich begriff zum Beispiel, warum der Marxismus ethisch ins Bodenlose führen mußte; Heimann war vor seiner Emigration religiöser Sozialist gewesen und gehörte zum Kreis um Paul Tillich; so hörte ich zum ersten Mal von der katholischen Soziallehre. Heimann brachte mich auch dazu, die Schriften der amerikanischen Revolution zu lesen. Bei aller Liebe zu seiner neuen
Heimat Amerika war er gleichwohl von europäischer Bildung geprägt, und seine geistigen Wurzeln reichten in das geschichtliche und kulturelle Erdreich Deutschlands ebenso wie in den geistigen Boden der Franzosen, Spanier und Italiener. Wohl zwangsläufig wurde »Freiheit und Ordnung« sein Schlüsselwort: Die Freiheit hatte er in den USA festgegründet erlebt, die Einsicht in die Notwendigkeit zur Ordnung hatte er wahrscheinlich aus Europa mitgebracht. Eduard Heimann war der erste große Amerikaner, den ich unmittelbar erlebt habe.
Wenig später kam es zu meiner ersten Reise in die USA. Inzwischen sind es fast einhundert Reisen geworden; außer Idaho und den beiden Dakotas habe ich alle Staaten besucht und ungeheuer viel dabei gelernt. Wer Amerika, seine Lebensformen und sein Wertgefühl oberflächlich mit französischen oder deutschen Maßstäben mißt, dem bleibt vieles unverständlich, manches befremdlich, und einiges kommt ihm sogar unsympathisch vor. Auf der anderen Seite muß der Amerikaner, der seine Südstaatenmentalität oder sein Go-West-Naturell zum Maßstab seiner Kritik an Europa macht, von dessen zweitausendjähriger Geschichte und der sprachlichen und kulturellen Vielfalt aber nicht viel weiß, ebenfalls vieles unverständlich finden. Da wir, Amerikaner und Europäer, jedoch aufeinander angewiesen sind und bleiben, sollten wir auf beiden Seiten große Anstrengungen machen, uns besser kennenzulernen. Düsenflugzeuge, Fernmeldesatelliten und Fernsehen bieten ja die technischen Mittel, die wir nutzen sollten, um uns näherzukommen und voneinander zu lernen. Solange uns aber zum Beispiel die deutschen Fernsehanstalten die amerikanischen Freunde erst jahrelang vor allem in Gestalt von Soldaten in Vietnam und dann überwiegend als dekadente kapitalistische Clans in Dallas oder Denver vorführen und solange im amerikanischen Fernsehen die Deutschen größtenteils als Soldaten Hitlers oder sogar als Schergen der SS, wenig später dann als militante Pazifisten gezeigt werden, so lange wird das gegenseitige Verständnis immer wieder erschwert.
Mit meiner ersten Amerikareise 1950 war ein geschäftlicher Auftrag verbunden. Für mehrere Wochen hatte ich den Hamburger
Hafen auf einer internationalen Messe auf dem Navy-Pier in Chicago zu vertreten. Wenngleich ich außer in Chicago nur je zwei Tage in New York und Duluth gewesen bin, so habe ich doch auf jener Reise vieles gesehen. Ich war spontan fasziniert – meine Zuneigung zu Amerika nahm ihren Anfang.
Der Hamburger Hafen war zerstört. Was meine beiden Chefs – der damalige hamburgische Wirtschaftssenator Karl Schiller und der Hafendirektor Ernst Plate – und ich ausstellten, waren lediglich Pläne und Modelle für den Wiederaufbau; wir warben um Vertrauen in Hamburgs Zukunft. In Wahrheit hatten wir noch nichts zu bieten. Trotzdem kamen interessierte amerikanische Besucher in unsere Ausstellungskoje: »Sehr interessant; aber eines möchte ich gerne wissen: Wie benehmen sich eigentlich die Sowjets bei Ihnen in Hamburg? Erlauben die denn, daß Sie zu uns gekommen sind?« Daß Hamburg im Westen des geteilten Landes liegt, wußten die Fragesteller nicht; wie sollten die Leute im amerikanischen Mittelwesten dies auch wissen? Die Hamburger wußten damals auch nicht, ob Seattle zu den USA oder zu Kanada gehört.
Als meine beiden Chefs nach der offiziellen Eröffnung wieder abgereist waren, zog ich in ein billigeres kleines Hotel, und auf diese Weise machte ich bald eine Reihe von Zufallsbekanntschaften. Ich las amerikanische Zeitungen und Magazine und hörte Radio; abends lief ich durch die Loop und bestaunte Amerika. Ein
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