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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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vorzuweisen oder wenigstens das Gesicht zu wahren. So haben 1966 amerikanischer Mangel an außenpolitischer Erfahrung und egoistische Rücksichtslosigkeit eines amerikanischen Präsidenten dazu beigetragen, einen Kanzlersturz und gleichzeitig einen Koalitionswechsel in Bonn auszulösen.
    Es war nicht schade um die Regierung Erhard-Mende; sie war reif zur Ablösung. Historisch gesehen war eine Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten seit längerem fällig. Dennoch blieb ein bitterer Nachgeschmack; er kam mir nach über einem Jahrzehnt in Erinnerung, als die Präsidenten Carter und Reagan immer wieder einseitig über die Köpfe ihrer europäischen Verbündeten hinweg handelten oder sich nicht an getroffene Vereinbarungen hielten; genau wie Johnson, die innenpolitischen Konsequenzen für ihre Bündnispartner nicht kennend oder vernachlässigend, brachten sie mich als Bundeskanzler dadurch mehrmals in Schwierigkeiten.
    Ähnlich wie Johnson einen wesentlichen Anteil am Sturz Erhards und am Zerbrechen der Koalition von CDU/CSU und FDP im Jahre 1966 hatte, so war anderthalb Jahrzehnte später Reagan,
wenn auch unwillentlich, am Zerbrechen der sozial-liberalen Koalition aus SPD und FDP beteiligt, indem er seine Politik gegenüber der Sowjetunion, aber auch seine Wirtschaftspolitik ohne Rücksicht auf die Interessen der Europäer und besonders der Deutschen betrieb und dadurch manche Anhänger in meiner Partei verunsicherte. Natürlich spielten in beiden Fällen auch innenpolitische und ökonomische Faktoren eine wichtige Rolle, besonders die raison d’ être der FDP, mit einer gewissen Regelmäßigkeit den Koalitionspartner zu wechseln.
    Ich habe Johnson, seine Minister und Berater nicht näher kennengelernt, mit Ausnahme von McGeorge Bundy und Robert McNamara. Bundy machte auf mich einen sehr gebildeten und zugleich energischen, entschlußkräftigen Eindruck; es lag nahe, Vertrauen in ihn zu setzen. Auch in späteren Jahren bin ich ihm bisweilen begegnet; die Vietnam-Erfahrung hat ihn zu einem strategischen Denker werden lassen, mit dem jedes Gespräch sich lohnt.
    Dies gilt ebenso für McNamara. Ihn habe ich in den sechziger Jahren bei meinen USA-Reisen als Hamburger Senator und als Fraktionsvorsitzender häufig besucht – sowohl während seiner Amtszeit als Verteidigungsminister als auch später, als er an der Spitze der Weltbank stand. Er hatte einen ausgeprägten Willen, alle strategischen Möglichkeiten durchzudenken, und war dabei von großer intellektueller Stringenz. Als Verteidigungsminister zog er schon 1962 die Konsequenz aus dem annähernden nuklearstrategischen Patt zwischen Washington und Moskau und löste die USA von der bis dahin offiziell geltenden Nuklearstrategie der massiven Vergeltung.
    Die Erfahrung der kubanischen Raketenkrise, noch mehr aber seine Mitverantwortung für die Entwicklung des Vietnamkrieges haben seither McNamaras Denken geprägt und ihm über die strategische und ökonomische Urteilsfähigkeit hinaus eine starke ethische Orientierung gegeben. Als wir einmal Ende der sechziger Jahre über Vietnam sprachen und ich angesichts der Bemühungen Nixons und Kissingers um Beendigung des Krieges die Frage stellte, warum das nicht schon von der vorangegangenen demokratischen
Administration versucht worden sei, antwortete er zu meiner Überraschung: »Bobby could have done it.« Aber Robert Kennedy hatte sich längst mit Johnson überworfen und sich von dessen Administration abgewandt, und 1968 war auch er ermordet worden. McNamara hielt nach John F. Kennedys Tod große Stücke auf den gleichfalls charismatischen jüngeren Kennedy. Johnson hingegen kreidete er an, keinen wirklich ernsthaften Versuch zur Beendigung des Vietnamkrieges gemacht zu haben; aus diesem Grunde war er auch Ende 1967 als Verteidigungsminister zurückgetreten.
    Seine Arbeit an der Spitze der Weltbank war für McNamara mehr als eine komplizierte multinationale Aufgabe; er sah darin eine Mission von moralischer Qualität, und er brachte alle seine Fähigkeiten ein. McNamara war der erste Politiker, der die vorrangige Bedeutung der Entwicklung der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern begriffen hatte und ihnen klarmachte, daß sie in der Lage seien, sich selbst zu ernähren. Er überzeugte vornehmlich durch seinen unbedingten persönlichen Einsatz zugunsten der Menschen in den unterentwickelten Ländern. So wurde McNamara, obgleich er von Hause aus nicht zur demokratischen Partei gehörte, für mich zu einem Symbol

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