Menschen und Maschinen
nicht. Auf jeden Fall hatte ich Einblick in seine Größe erhalten – denn er war bereit, seinen Irrtum einzugestehen und noch einmal ganz von vorne zu beginnen. Ich hatte nicht mit seiner Zusammenarbeit gerechnet; mir war es lediglich darum gegangen, seine Feindseligkeit zu brechen. Aber er hatte nachgegeben. Er hatte einen Fehler zugegeben und wollte seine Karriere noch einmal aufbauen.
»Zum Lernen ist es nie zu spät«, sagte ich. »Wir könnten Sie einweisen.«
Kolfmann sah mich einen Moment lang durchdringend an, und ich fror. Aber mein Stolz kannte keine Grenzen. Ich hatte eine große Schlacht für die Musik gewonnen, und ich hatte sie mit lächerlichen Mitteln gewonnen.
*
Er verließ uns eine Weile, um die Technik des Computers zu erlernen. Ich gab ihm einen Mann mit, den ich insgeheim zu meinem späteren Nachfolger bestimmt hatte. Inzwischen beendete ich die Beethoven-Symphonie, und die Aufführung war ein großer Erfolg. Dann erst wandte ich mich wieder Macauley und seinem Diagramm zu.
Und wieder traf allerlei zusammen, das mich daran hinderte, die volle Gefahr zu erkennen, die von Macauleys Idee ausging. Ich verstand, daß bei einer geringen Verbesserung das menschliche Element der Interpretation fast völlig ausgeschaltet werden konnte. Aber es war viele Jahre her, seit ich in den Labors gearbeitet hatte, und ich war von meiner Gewohnheit abgegangen, jedes Diagramm solange zu untersuchen, bis ich sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft hatte.
Während ich den Macauley-Stromkreis untersuchte und müßig überlegte, daß er mich ohne weiteres aus meinem Beruf verdrängen konnte, wenn er perfekt war (denn dann würde jeder in der Lage sein, Musik zu interpretieren), kam Kolfmann mit einigen Bändern herein. Er sah zwanzig Jahre jünger aus; sein Gesicht war fröhlich und gepflegt, seine Augen glänzten, und seine eindrucksvolle Haarmähne wehte majestätisch.
»Ich kann nur wiederholen, daß ich ein Narr war«, sagte er, als er die Bänder auf meinen Schreibtisch legte. »Ich habe mein Leben verschwendet. Anstatt auf meinem lächerlichen kleinen Instrument herumzuklimpern, hätte ich mit dieser Maschine Wunder vollbringen können. Sehen Sie – ich habe mit Chopin begonnen.«
Ich speiste das Band in die Maschine ein, und Chopins f-Moll-Fantasie strömte durch das Zimmer. Ich hatte das müde alte Streitroß schon tausendmal gehört, aber nie auf diese Weise.
»Die Maschine ist das edelste Instrument, das ich je zur Verfügung hatte«, sagte er.
Ich sah die Skizze an, die er in seiner gewissenhaften, winzigen Handschrift angelegt hatte. Die Ultraklänge waren einfach unglaublich. In nur wenigen Wochen hatte er Feinheiten gemeistert, die ich in fünfzehn Jahren nicht lernen konnte. Er hatte entdeckt, daß geschickt gewählte Ultraklänge, jenseits der Wahrnehmung, den Musikhorizont erweiterten; Komponisten der Vor-Computer-Zeit, die durch ihre primitiven Instrumente und eine falsche Auffassung der Tonlehre eingeengt waren, hätten so etwas niemals für möglich gehalten.
Der Chopin brachte mich fast zum Weinen. Das lag nicht so sehr an den tatsächlichen Melodien Chopins, die ich oft genug vernommen hatte, sondern an den unhörbaren Noten, die der Computer im Ultraschall-Bereich anschlug. Der alte Mann hatte seine Ultraklänge mit dem Geschick eines Künstlers – nein, mit der Hand eines Genies – gewählt. Ich sah Kolfmann mitten im Zimmer stolz aufgerichtet dastehen, während uns die Klänge des Klaviers machtvoll umgaben.
Ich spürte, daß das mein größter künstlerischer Triumph war. Meine Beethoven-Symphonien und alle meine anderen Interpretationen versanken neben diesem einen Erfolg: Ich hatte Kolfmann den Musik-Computer zugänglich gemacht.
Er reichte mir das nächste Band, und ich legte es ein. Es war die Bachsche Toccata und Fuge in a-Moll; offensichtlich hatte er zuerst die Stücke bearbeitet, die er am besten kannte. Die Klänge einer Superorgel dröhnten aus dem Computer. Die Heftigkeit der Musik riß uns mit. Und Kolfmann stand aufrecht da, während das Bach-Werk uns umbrauste. Ich sah ihn an und versuchte ihn mit dem elenden alten Mann in Verbindung zu bringen, der vor gar nicht langer Zeit versucht hatte, unseren Musik-Computer zu zertrümmern. Ich brachte es nicht fertig.
Gegen Ende der Bach-Fuge dachte ich wieder an das Macauley-Diagramm und an die Schar von ausdruckslosen netten Technikern, die sich bemühten, den Computer zu vervollkommnen, indem sie das einzige
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