Menschen und Maschinen
feierlich. So gerade richtig. Er hielt ein Blatt Papier in der Hand, und ich wußte sofort, daß er auf etwas Wichtiges gestoßen war, denn niemand unterbricht einen Interpreten wegen Kleinigkeiten.
»Ich habe einen neuen Stromkreis entwickelt, Sir«, sagte er. »Er basiert auf dem unfertigen Kennedy-Kreis von 226X.«
Ich erinnerte mich an Kennedy – ein glänzender Kopf, ähnlich wie Macauley hier. Er hatte einen Stromkreis entwickelt, durch den das Übertragen einer Symphonie auf einen Computer fast so leicht wie Mundharmonikaspielen wurde. Aber es hatte nicht ganz funktioniert – irgend etwas brachte die Ultraklänge durcheinander, und das Ergebnis war schauerlich anzuhören –, und wir konnten den Fehler nie entdecken. Kennedy verschwand etwa ein Jahr später, und wir hörten nichts mehr von ihm. Alle jungen Techniker bissen sich an seinem Stromkreis die Zähne aus. Sie hofften, das Geheimnis einmal lösen zu können. Und nun hatte Macauley es geschafft.
Ich sah erst seine Zeichnung und dann ihn an. Er stand ruhig da, und sein hübsches, intelligentes Gesicht war ausdruckslos. Er wartete auf meine Fragen.
»Dieser Stromkreis kontrolliert die künstlerische Auslegung der Musik, nicht wahr?«
»Ja, Sir. Sie können den Computer auf das ästhetische Gefühl einstellen, das Ihnen vorschwebt, und er wird nach Ihren Anordnungen handeln. Sie müssen lediglich die ästhetischen Koordinaten einstellen, und der Computer übernimmt den Rest der Interpretation. Aber das ist nicht das eigentliche Ziel meines Stromkreises, Sir«, sagte er vorsichtig. Er wollte damit so schonend wie möglich ausdrücken, daß ich den springenden Punkt nicht erfaßt hatte. »Mit ein paar kleinen Abänderungen …«
Er hatte nicht mehr die Möglichkeit, mich aufzuklären, denn in diesem Augenblick stürmte Kolfmann in meinen Arbeitsraum. Ich sperre nie meine Türen zu, denn erstens würde es niemand wagen, ohne einen wirklich triftigen Grund hereinzukommen, und zweitens hatte mir mein Psychologe erklärt, daß Arbeit hinter verschlossenen Türen eine negative Wirkung auf meine Sensibilität hätte und die ästhetische Kraft meiner Interpretationen vermindern würde. Also arbeitete ich immer bei unverschlossener Tür, und deshalb konnte Kolfmann eindringen. Deshalb auch kam Macauley mit dem Leben davon, denn wenn er das ausgesprochen hätte, was ihm auf der Zunge lag, hätte ich ihn mitsamt seinem Stromkreis auf der Stelle in die Verbrennungsanlage gesteckt.
*
Kolfmann war ein berühmter Name in der Musikwelt. Er war jetzt vielleicht achtzig, oder auch neunzig, wenn er einen guten Gerontologen hatte, und er war vor vielen Jahren ein hervorragender Konzertpianist gewesen. Diejenigen unter uns, die etwas von der Vor-Computer-Musikgeschichte verstanden, brachten seinen Namen mit den Großen der Vergangenheit in Verbindung, mit Paganini oder Horowitz, und wir betrachteten ihn beinahe mit Ehrfurcht.
Im Moment allerdings sah ich nur einen großen, schrecklich hageren Alten in zerlumpter Kleidung, der meine Tür aufriß und geradewegs auf den Musikcomputer losstürmte, der die gesamte Nordwand mit glänzenden Instrumenten füllte. Er hatte einen armdicken Prügel in der Hand, und er wollte ihn gerade in die unbezahlbare Anlage schmettern, als Macauley hinüberging und ihm das Ding mühelos aus der Hand nahm. Ich war immer noch so entgeistert, daß ich starr hinter meinem Schreibtisch stehenblieb.
Macauley brachte ihn zu mir, und ich sah ihn an, als sei er Judas höchstpersönlich.
»Sie alter Reaktionär!« sagte ich. »Was soll das? Es kann Sie ein Vermögen kosten, wenn Sie einen Musik-Computer vernichten – oder wußten Sie das nicht?«
»Mein Leben ist ohnehin ruiniert«, sagte er mit belegter, gutturaler Stimme. »Es ging zu Ende, als Ihre Maschinen die Herrschaft über die Musik ergriffen.«
Er nahm seine verbeulte Mütze ab. Darunter kam volles, weißes Haar zum Vorschein. Er hatte sich ein oder zwei Tage nicht rasiert, und seine Wangen waren von Bartstoppeln bedeckt.
»Mein Name ist Gregor Kolfmann«, sagte er. »Sicher haben Sie von mir gehört.«
»Kolfmann, der Pianist?«
Er nickte geschmeichelt. »Ja, Kolfmann, der ehemalige Pianist. Sie und Ihre Maschinen haben mir das Leben geraubt.«
Plötzlich schmolz der ganze Zorn dahin, der sich seit seinem Eindringen aufgestaut hatte – der Zorn, den jeder normale Mensch gegen einen Computer-Zerstörer empfindet –, und ich fühlte mich vor diesem alten Mann schuldig und
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