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Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus

Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus

Titel: Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Flasche ab, damit er sie nicht noch fallen ließ. Ihr Mund presste sich auf seinen, und ehe sie seine Lippen wieder freigab, hatte sie ihm den Mantel von den Schultern gestreift, den ihm eine andere, gefühllosere Margarete angedreht hatte.

3
    Gegen Mitternacht waren sie wieder oben in ihrem Zimmer, grinsend und ziemlich betrunken. Den Spätburgunder hatten sie nun doch aus einem Glas genossen, und eine zweite Runde ihres zärtlichen Abenteuers war in der Abgeschlossenheit des Raumes etwas weniger aufregend, dafür aber umso bequemer und entspannter über die Bühne gegangen.
    Die Steinstatuen hatte Margarete weitgehend vergessen. Für eine kurze, egoistische Stunde war sie rundum glücklich darüber, dass Sir Darren nicht hier weilte. Solange er auf Falkengrund war, hätte ein Erlebnis wie dieses ein Traum bleiben müssen. Und falls sie ihn schon suchen musste, würde es ohnehin sinnvoller sein, Fabians detektivische Fähigkeiten direkt zum Einsatz zu bringen, anstatt sie an das Interpretieren bedeutungsloser Rätselgedichte zu verschwenden.
    In Fabians Armen dämmerte sie langsam in den Schlaf hinüber.
    Doch Morpheus wollte sie noch nicht.
    Ein Gedanke ließ sie zusammenfahren. Es war dieser Moment zwischen Wachen und Schlafen gewesen, in dem Wirklichkeit und Traumwelt ineinander zu fließen und eine wunderbare Einheit zu bilden schienen. Der Moment, in dem alles möglich schien, alles Sinn machte.
    Um jemanden zu finden , dachte sie, braucht man einen guten Überblick. Selbst der Reiter in dem stolzen Standbild, das sie sich vorgestellt hatte, saß nicht hoch genug, um die Dinge aus der Vogelperspektive zu sehen. Dazu musste man noch weitaus höher hinaus. Sie sah eine Statue auf einem Dach stehen und auf die Welt hinabblicken. Zunächst schien es eine aufrechte menschliche Gestalt zu sein, doch dann beugte sich das steinerne Wesen vornüber, wurde bucklig und krumm, und seine Züge bekamen etwas Raubtierhaftes. Das Maul wurde breiter, gebogene Fangzähne wuchsen daraus hervor, und was eben noch schwere, ausdrucksstarke Brauen gewesen waren, verwandelte sich nun in monsterhafte Knochenwülste.
    Das Geschöpf in ihrem Traum stand unter einem dunkelblauen, schweren, tiefliegenden Himmel, aus dem dichte Regenschnüre bis auf die Erde herabhingen. Wo die Schnüre den Steinleib trafen, nahmen sie die Form seines Körpers an. Es war ein faszinierender Anblick, der nur wenige Sekunden währte. Irgendetwas stimmte an diesem Wesen noch nicht; ihre Phantasie war nicht in der Lage, es ihr so zu zeigen, wie es in der Wirklichkeit aussah. Es blieb unfertig, unvollkommen, und vielleicht war es diese Feststellung, die sie zu sich kommen ließ.
    „Sie sind auf den Dächern“, brabbelte sie und erwachte vollends. Ihr Liebhaber hatte den Arm als lebendes Kissen unter ihren Kopf geschoben, wie das Männer gerne taten, und lag in ungelenker Pose neben ihr auf dem Rücken. Sein Mund war geöffnet, dezente Schnarchlaute drangen aus seiner Kehle. Er trug keinen Fetzen mehr am Körper, streckte alle Fünfe von sich. Im Gegensatz zu dem Geschöpf, von dem sie eben geträumt hatte, sah er einen Augenblick lang erschreckend menschlich und unauffällig aus.
    Im ersten Moment dachte sie daran, ihn zu wecken, doch dann unterließ sie es. Sie hob ihren Kopf langsam von seinem Oberarm und stand auf. Während sie in einen Hausanzug schlüpfte, ohne sich um Unterwäsche zu kümmern, ordnete sie ihre Gedanken.
    Statuen, die auf den Dächern saßen und die Welt überblickten, gab es. Man nannte sie Wasserspeier. Und kannte sie auch unter dem Namen Gargoyles. Wenn sie sich nicht täuschte, lag der Ursprung dieses Begriffs in der französischen Sprache. Das Verb „gargouiller“ bedeutete „gurgeln“ und „plätschern“. Auch für das Magenknurren wurde es verwendet. „Gargouiller“ – ein raffiniertes lautmalerisches Wort, beginnend mit einem dumpfen, gutturalen Laut, der in ein helles Strudeln überging. Besser konnte man das Geräusch nicht einfangen, das durch ein Rohr schießendes Wasser verursachte. Das Französische – von einfachen Gemütern immer wieder als Sprache der Liebe bezeichnet – entfaltete seine unglaubliche Lautgewalt noch besser in solchen dunklen, murmelnden Klangkompositionen.
    Margarete griff in ihr Bücherregal und prüfte ihr Wissen nach. „Gargouille“ hatte tatsächlich die prosaische Bedeutung „Abflussrohr“, und nichts anderes war der architektonische Zweck dieser grotesken Ungeheuer, die seit der Gotik

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