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Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus

Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus

Titel: Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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zahllose Dächer zierten – oder verunstalteten, je nach Geschmack. Sie sammelten das Regenwasser, das aufs Dach prasselte, und spuckten es in Kaskaden hinab. Allerdings erklärte diese Funktion noch nicht ihr albtraumhaftes Aussehen. Warum musste man ausgerechnet den Wasserspeiern eine Monstergestalt geben? Warum nicht den Fenstersimsen oder den Schornsteinen? Theorien über Herkunft und Bedeutung der chimärenhaften Steinwesen gab es viele, doch keine bot eine befriedigende Erklärung. Wenn die Wasserspeier dämonische Wesen darstellten, die den Christen das Aussehen von Dämonen veranschaulichen sollten, wie manche vermuteten, warum hatte man die scheußlichen Köpfe dann nicht Rauch oder stinkende Abwässer speien lassen, sondern sauberes, labendes Regenwasser?
    Der Artikel über die Gargoyles in dem Lexikon der mythischen Gestalten, das Margarete in der Hand hielt, umfasste eine halbe Seite. Als sie ihn gelesen hatte, wirbelten ihre Gedanken in alle Richtung davon.
    Das Weinen, die Tränen – der Wein des Himmels wurde in den Gargoyles zu herabschießendem Wasser. Sie waren aus hartem Stein, zweifellos, und von fahler, grauer Farbe. Wie alle anderen Wesen aus Stein blinzelten sie nie, doch bei ihnen schien dieser Umstand eine besondere Bedeutung zu haben. Sie überblickten die Klüfte zwischen den Häusern, die großen Plätze vor den Kirchen und Schlössern, und das, ohne auch nur eine Sekunde die Augen zu schließen oder wegzusehen. Sie waren stets wach, und wenn man davon ausging, dass sie im Dunkeln sehen konnten, dann nahmen sie ihren Teil der Welt vollkommen lückenlos wahr.
    Ihre Wohnorte in luftigen Höhen sorgten dafür, dass der Wind durch die Öffnungen pfiff, durch die bei Regen das Wasser floss, und für Menschen musste es sich anhören, als würde der Wind ihnen seine Stimme leihen.
    Das Gedicht, das sie gefunden hatte – es beschrieb die Gargoyles!
    Und es tat noch mehr als sie zu beschreiben. Die Tatsache, dass es in der Kategorie „Gesuchtes finden“ aufgeführt war, sprach eine eindeutige Sprache: Gargoyles konnten einem helfen, etwas Gesuchtes zu finden.
    Erstaunlich an sich, doch irgendwie auch wieder logisch. Von ihren hochgelegenen Positionen aus überblickten sie die Welt.
    Also, was hieß das für Margarete? Sollte sie etwa durch die Großstädte der Welt reisen, die Kathedralen und Schlösser aufsuchen und mit den Wasserspeiern plaudern? „Hi, habt ihr vielleicht Sir Darren gesehen, so einen Großen, Strengen, die Haare schon etwas licht, zu viele Falten für sein Alter, kleine Augen, große Nase? Nein? Trotzdem danke schön, ach ja, und angenehmes Wasserspeien noch …“
    Der Regen klatschte noch immer gegen die Schlosswand, und bei dem Geräusch fiel ihr etwas ein. Etwas elementar Wichtiges!
    Sie hatten Gargoyles auf Falkengrund. Auf der Rückwand unter dem Dach drängten sie aus dem Mauerwerk heraus. Sechs Stück waren es. Die Dachrinne enthielt Abzweigungen, die zu ihren Mündern führten, und in Nächten wie diesen würden sie sich nicht über trockene Kehlen beklagen können. Da Margaretes Zimmer zur Vorderseite des Schlosses hinaus ging, konnte sie durchs Fenster nichts von ihnen sehen.
    Sie spürte das Verlangen, sich die zahmen Ungeheuer zu betrachten. Sofort.
    Fabian schlief noch immer unbeirrt. Zwei Höhepunkte in einer Stunde wirkten bei Männern zuverlässiger als jedes Schlafmittel. Die Dozentin warf sich einen durchsichtigen Regenmantel über den blauen Hausanzug, schlüpfte in Schuhe und verließ leise das Zimmer. Im Schloss war niemand mehr unterwegs. Sie stieg die Treppe hinunter, durchquerte die große Eingangshalle und ging zum Portal hinaus. Der Regen war wie eine Mauer, doch die Luft erwies sich als erstaunlich mild für die Jahreszeit. Der Wind hatte nachgelassen, während Petrus noch immer keine Anstalten machte, die Schleusen des Himmels zu schließen.
    Margarete balancierte zunächst über den glitschigen Kies und watete dann klatschend durch den Schlamm. Sie bereute bereits, sich Werners Gummistiefel nicht ausgeborgt zu haben. Die auf dem Parkplatz abgestellten Fahrzeuge waren hinter den Wasserschleiern nur zu erahnen, und gleich jenseits von ihnen endete die Welt. Falkengrunds klitschnasse Wände erschienen ungewöhnlich dunkel, beinahe schwarz. Sie ging um das Gebäude herum, bis sie die Rückwand sehen konnte.
    Die irrwitzigen, ineinander verwobenen Szenen, die diese Mauer zierten, schienen zu leben. Das Wasser, das in Strömen an ihnen herablief,

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