Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus
glänzend und schimmernd, schuf diese Illusion. Das Fell der Hunde in den Jagdszenen schien sich zu sträuben, das erlegte Wild schien zu bluten. Die Seeschlangen, Drachen und Zwerge weiter oben an der Wand sahen mit funkelnden Augen auf die Frau herab, die sich ihnen in einer solch unwirtlichen Nacht zu nähern erdreistete. Ganz oben unter dem Dach wuchsen die Gargoyles hervor, jeder von anderer Gestalt, und Margarete hätte schwören können, dass sie sich bewegten, ein wenig zumindest.
Es war das erste Mal, dass diese Wand ihr Angst einjagte.
Es war, als blicke sie zurück auf die Phantasmagorien ihrer Kindheit, auf eine Zeit, in der sich harmlose Schatten in der Dunkelheit zu lebendigen Ungeheuern formten, zu monströsen Geschöpfen, die sie zwar nicht attackierten, aber mit unverhohlenem Hass anstarrten. Wir kriegen dich , hatten die Wesen in der Dunkelheit gesagt. Nicht jetzt und nicht heute, sondern dann, wenn du es am wenigsten erwartest. Wir können uns nur ein wenig bewegen, nur Millimeter, aber du solltest dich deswegen nicht in Sicherheit wiegen. Manchmal reichen Millimeter, um jemandem die Kehle zuzudrücken …
Um solche Gedanken hatten sich ihre schlaflosen Nächte gedreht. Und jetzt war das Gefühl wieder da. In dieser Nacht, bei diesen Lichtverhältnissen, bekam man ein anderes Verhältnis zu seinen Sinnen. Das Vertrauensverhältnis zerbrach. Was man sah, musste nicht die Wirklichkeit sein, und was wirklich war, musste man nicht unbedingt sehen können. Die Wand räkelte sich wohlig unter dem Ansturm des Regens – so wirkte es.
Sechs Gargoyles reckten sich nach ihr. Sie waren hart und fahl, wie das Gedicht sie beschrieb, und sie blinzelten nicht. Das Wasser, das die Dachrinnen sammelten, rauschte wie Strahlen aus Feuerwehrschläuchen aus ihren hässlichen Mäulern hervor und malte harte Linien in die Luft, die erst am Ende von der Schwerkraft abgelenkt und von den auftreffenden Regentropfen zerfetzt und ausgefranst wurden. Sie ging unter diesen Strahlen hindurch wie durch einen Säulengang.
„Ich suche jemanden“, rief sie gegen das Prasseln an.
Die Gargoyles antworteten nicht. Natürlich nicht. Sie waren aus Stein. Selbst wenn sie des Sprechens mächtig gewesen wären, hätte sie sie nicht verstanden. Das Wasser, das durch ihre Münder rauschte, hätte jeden Laut unverständlich gemacht.
Die Mienen der Ungeheuer schienen sich zu verziehen. Zwei von ihnen ähnelten Drachen, hatten Flügel und schmale Gesichter – eines war das einer Echse, das andere hatte etwas Vogelartiges an sich und glich der Fratze eines Flugsauriers. Die anderen Wasserspeier waren von massiger, plumper Form, manchen wuchsen Hörner aus dem Hinterkopf oder aus der Stirn, einer ähnelte einer aufgedunsenen Frau mit einem gewaltigen Mund, der kaum Platz für die Nase, Auge und Ohren ließ. Ihre schweren Brüste liefen in Monsterfratzen aus. Einem der gehörnten Gargoyles wuchs ein riesiges steifes Glied aus dem Schoß.
Margarete zögerte. In dem Buch hatte nicht gestanden, wie man mit diesen Wesen Kontakt aufnahm. Möglich, dass sie gute Beobachter waren. Aber wie tauschte man sich mit ihnen aus?
„Ich bitte euch!“, schrie sie. „Ich brauche eure Hilfe!“
Auch eine Hexe, wie sie eine war, kam sich manchmal dumm vor. Jetzt war so ein Moment. Sie beherrschte magische Rituale, von denen sie wusste, dass sie wirkten, und sie auszuführen, gab ihr ein gutes Gefühl, ein Gefühl der Macht. Aber hier im strömenden Regen zu stehen und eine Wand anzubrüllen – das war einfach nur lächerlich.
Sie spürte, wie sie von den Füßen her nass wurde. Der Regenmantel ging ihr nur bis zu den Knien, und die Kälte schob sich an ihr empor.
Unverrichteter Dinge wieder abzuziehen, war nicht ihr Ding. Die Monsteraugen schienen nach ihr zu schielen, die abscheulichen Fratzen schienen zu lächeln. Sie einzuladen. Komm zu uns herauf , sagten sie, und wir zeigen dir, was du sehen willst.
Konnte man die Wand erklimmen? Margarete ging an dem Mauerwerk entlang. An einigen Stellen waren die Reliefs so ausgeprägt, dass man an ihnen emporklettern konnte. Aber die Kanten waren abgerundet und der Stein vom Regen glitschig. Es gab keine Griffe, um sich daran festzuhalten, und keinen umlaufenden Sims, auf den man sich stellen konnte.
Die dicke Frau lachte. Margarete hätte es beschwören können. Sie verspottete sie, weil sie nicht den Mumm hatte, an der Wand hinaufzusteigen.
Immer schon hatte sie sich gefragt, was diese Wand zu bedeuten
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