Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus

Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus

Titel: Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
Vom Netzwerk:
etwas anderes hakte sich unter ihren Armen ein. Sie warf die Arme nach oben, umfasste einen massigen Stein. Dann atmete sie einmal tief durch und hangelte sich nach oben.
    Was genau in diesen Augenblicken geschehen war, hätte sie später niemandem beschreiben können. Es war, als kämpfe sie gegen eine Sintflut an, und doch blieb sie Siegerin. Als sie wieder klarer denken konnte, saß sie rittlings auf dem Rücken eines der Gargoyles, oder wenigstens lag sie auf ihm. Es war jener, der Ähnlichkeit mit einem Flugsaurier aufwies. Ihre Brust ruhte auf dem langen, breiten Hals, ihre Hände hielten sich irgendwo am Ansatz der Flügel fest. Die Welt drehte sich um sie, nicht rasend schnell, aber in weichen, rhythmischen Wellen. In diesen Sekunden spürte sie nichts mehr als die Kälte.
    Etwas hatte sie gerettet. Es hatte sich angefühlt, als habe das vogelköpfige Monster nach ihr geschnappt, gerade als sie abrutschte. Eine bessere Erklärung war, dass sie mit übermenschlicher Anstrengung einen Sprung nach oben gewagt und den Hals der Skulptur zu fassen bekommen hatte.
    Das Wasser sammelte sich in ihrem Mantel. Der Regen wechselte ständig seine Richtung. Durch Margaretes Kopf zuckte der schreckliche Gedanke, dass sie noch nicht gerettet war, dass ihre Flucht nach oben alles nur noch viel schlimmer gemacht hatte. Auch wenn sie es irgendwie hier herauf geschafft haben mochte – sie kam aus eigener Kraft nicht mehr hinunter, und es war nur eine Frage der Zeit, ehe die Unterkühlung ihren Körper lähmen würde. Der Ablauf ihres Sterbens war vorprogrammiert: Sie würde das Bewusstsein verlieren, ohnmächtig abgleiten und hinunterstürzen und sich beim Aufprall unten das Genick brechen. Es ging sechs, sieben Meter in die Tiefe. Niemand würde sie in diesem Regen hören. Selbst wenn sie den Sturz überlebte – man würde sie erst am nächsten Morgen suchen. Auch auf Fabian durfte sie nicht hoffen. Er war berauscht vom Wein und von der Liebe.
    Sie spähte nach dem Gesicht des Gargoyles. Der gewaltige Schnabel, aus dem Wasser schoss, war geöffnet, eine lange spitze Zunge war zu sehen. Sie schien sich zu bewegen.
    „Bring mich nach unten“, keuchte die Dozentin, und jetzt kam sie sich kein bisschen lächerlich mehr dabei vor, mit dem Stein zu sprechen.
    „… kann nicht … bin Teil des Hauses … Teil der Mauer …“
    Die Worte waren da, im Plätschern des Regens, im Rauschen des Wassers, das aus dem Schnabelmaul sprühte. Undeutlich, dumpf, gurgelnd, aber nicht wegzuleugnen.
    Margaretes Überraschung hielt sich in Grenzen. Sie war in einer Verfassung, in der sie hinnahm, was geschah. Die Lebensgefahr, in der sie sich befand, wog schwerer als die Frage nach einer Erklärung.
    „Du hättest mich fallen lassen sollen“, presste sie hervor. „Jetzt stecke ich noch tiefer in der Tinte als vorher … tiefer … höher …“
    „… Suche … du bist auf der Suche …“
    „Auf der Suche nach Sir Darren, ja.“ Sie lachte verzweifelt. „Aber das … ist jetzt nicht mehr wichtig. Kannst du dich bemerkbar machen? Mit deinem Schnabel gegen eines der Fenster klopfen, damit mich jemand hier herunterholt?“ Das Regenwasser rann über ihre Lippen in ihren Mund, und sie verschluckte sich, während sie sprach. Ihr Leib bebte vor Kälte und Angst.
    „… Sir … Darren …“
    Eine Weile hustete sie. Wenn sie nach unten sah, schien der Boden unter ihr zu vibrieren, sie hinabzuziehen. Sie hatte nie unter Höhenangst gelitten, jetzt hatte sie sie. Die Oberfläche des Gargoyles erschien ihr glatt, glitschig, als habe er Jahrhunderte lang auf dem Grund des Meeres gelegen.
    „Ja“, stöhnte sie. „Ja …“
    „… meintest du vielleicht … Sir Warren … Schwerkarren … Querbarren …“
    „Sir Darren Edgar“, schnappte sie, und Regenwasser sprühte aus ihrem Mund, „Engländer, zwei-… zweiundfünfzig Jahre alt, Spezialist für … Spiritismus. Bis vor ein paar Monaten war er …“
    „… beginne zu gurgeln …“
    „Was?“
    Irgendetwas veränderte sich. Es war, als fange der Gargoyle an zu würgen. Das Geräusch des Wassers, das durch seine Kehle strömte, veränderte sich, wurde vielschichtiger, wie ein mehrstimmiger Gesang. Margarete lauschte den sich auffächernden Melodielinien nach wie den immer komplexer werdenden Harmonien einer Symphonie.
    Wenn sie in den tosenden Regen starrte, erkannte sie Spiegelungen. Licht fiel auf die Regentropfen, Bilder wurden auf sie projiziert wie auf eine Leinwand. In rasendem

Weitere Kostenlose Bücher