Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus
komplizierten Mischung aus Ekel und Faszination. Sie war kein Waisenkind, was die Befriedigung sinnlicher Lust anging, aber was sie in diesen Minuten an sexuellen Ausschweifungen und Brutalität zu Gesicht bekam, überstieg ihre Vorstellungskraft. Alle diese Handlungen spielten sich unter freiem Himmel ab, wie zuvor schon die bewegten Bilder, auf denen Sir Darren zu sehen gewesen war. Ins Innere von Häusern konnten Gargoyles also nicht sehen. Das machte einen Sinn. Weniger Sinn machte das Durcheinander aus Obszönitäten und Gewalt, das vor ihren Augen ablief. Einige der filmartig ablaufenden Szenen drehten ihr den Magen um, und erst langsam begriff sie, warum das so war. Was sie hier sah, waren keine Spielfilme, keine nüchtern abgedrehten Pornos, sondern die Realität. Szenen aus der ganzen Welt, auch aus Afrika und Asien, aus Dritte-Welt-Ländern und aus Ländern, in denen der Terror reagierte. Vergewaltigungen und Verstümmelungen, immer wieder gesucht und aufgerufen von Menschen, die nicht genug von diesen Bildern bekommen konnten.
Hass erwachte in ihr, zuerst auf die Wasserspeier, deren steinerne, niemals blinzelnde Augen Dinge aufzeichneten, an denen niemand sich zu ergötzen das Recht hatte. Dann auf die Menschen, die dieses unglaubliche Phänomen für solche sinnlosen Suchen nutzen.
„Beende das Live-Gurgeln“, krächzte sie kraftlos. „Ich ertrage es nicht … Versuchen wir … etwas anderes.“
Die Bilder verschwanden. Irgendwo am Rande ihres Blickfeldes waren wieder einige Pop-up-Pilze entstanden und hatten sich auszubreiten versucht, doch der Gargoyle hatte rechtzeitig die Verbindung unterbrochen. Diesmal ging der Vorgang weniger spektakulär über die Bühne: Die Zeit schien kurz einzufrieren, die Regentropfen verharrten in der Luft und erzitterten, einige von ihnen verdampften oder zerplatzten, dann war der Spuk vorüber, und die Wirklichkeit hatte sie wieder. Ausgelaugt und müde lag Margarete auf dem steinernen Leib. Ihre Arme und Beine hingen schlaff an den Seiten herab. Träge drehte sie den Kopf und sah zu den anderen Gargoyles hinüber. Sie schienen ihrerseits nach ihr zu schielen. Neben ihr befand sich die hässliche Frau mit dem riesigen Mund und den schweren Brüsten, aus denen die Gesichter von Ungeheuern wuchsen. Bis zu ihr waren es drei Meter. Um sie zu erreichen, hätte sie erst aufs Dach klettern müssen. Suchte sie anders oder besser als der Flugsaurier, auf dem Margarete saß? Das aufgedunsene Weib wirkte nicht eben hilfsbereit. Es sah aus, als würde es sie fressen, falls sie ihm zu nahe kam. Die Frage war höchstens, welcher Teil der Bestie als erster zubeißen würde. Würden ihre Brüste sich mit ihrem Maul um die Beute streiten?
„Noch einmal gurgeln“, brachte die Dozentin hervor. „Diesmal suchen wir nach Darren Edgar, Dirk Fachinger, Anna.“ Sie hatte eine Idee. Anna war das ermordete Mädchen, wegen dem Sir Darren zu Kriminalhauptkommissar Fachinger geladen worden war. Indirekt war das Mädchen auch der Auslöser dafür gewesen, dass Sir Darren das Vertrauen seiner Geisterfreunde gebrochen hatte. Wenn sie schon nicht erfahren konnte, wo sich der Gesuchte im Moment aufhielt, dann ließ sich vielleicht wenigstens herausfinden, wie es zu seinem Verschwinden gekommen war. An jenem Tag, an dem er Falkengrund verlassen hatte, ohne zurückzukehren, war er zuvor bei Fachinger auf der Polizeiwache gewesen. Das legte die Vermutung nahe, dass sein Verschwinden etwas mit der Sache zu tun hatte.
Das Gurgeln begann erneut. Margarete starrte gebannt auf die Bilder, die sich aus dem Regen schälten. Da gab es ein Auto, das übers Land fuhr. Dann eine Scheune, vor der Sir Darren ausstieg, und ebenso ein kleines Mädchen. Die Dozentin erkannte das Gesicht des Kindes – es war jenes, das in den Zeitungen neben den Artikeln über die getötete Anna zu sehen gewesen war. Anna stieg mit Sir Darren aus dem Wagen!
Aber … Sir Darren hatte Anna doch überhaupt nicht gekannt!
Trotz der Kälte wurde es ihr heiß. Hatte Sir Darren womöglich doch etwas mit dem Tod des Mädchens zu tun? War er untergetaucht, als Zusammenhänge zum Vorschein kamen? „Nein“, flüsterte sie. Es war unvorstellbar.
Dann fiel ihr etwas auf. Vielleicht lag es am Regen – die Bilder waren unklar, und der Ausschnitt winzig – aber das Kind wirkte ein wenig durchscheinend. Durch seinen Körper hindurch war für eine Sekunde der Grasboden zu sehen. War Anna ein Gespenst? Hatte Annas Geist Sir Darren an eine
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