Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus
auf die Kellertür feststellen, dass jemand eingedrungen war. Ließ sie ihn stecken, konnte er sie hier unten einschließen.
Sie entschied sich dafür, den Schlüssel abzuziehen. Solange sie nicht wusste, was sie hier unten erwartete, gab er ihr einen Hauch von Sicherheit.
Die Schatten waren auf beiden Wänden zu sehen, und manche von ihnen waren so groß, dass ihre Köpfe bis an die Decke reichten. Obwohl es eine einfache, amateurhafte Malerei war, entfaltete sie eine gewaltige Wirkung.
Unten schloss sich ein Flur an. Karen suchte vergeblich nach einem weiteren Lichtschalter, doch die Helligkeit von der Treppe her reichte aus, um genügend zu erkennen. Außerdem gab es am Ende des Korridors ein kleines Fenster, das über der Erde liegen musste und so ein wenig Tageslicht hereinließ.
Die Malereien an den Wänden setzten sich hier fort. Weitere Schatten, Dutzende von ihnen, einander verdeckend, wie eine Armee von Dämonen oder Geistern, die sich langsam um die Frau schloss. Im Halbdunkel dieses Ganges wirkten sie noch lebendiger als oben im grellen Neonlicht.
Unwillkürlich hielt sie den Atem an und musste sich zum Luftholen zwingen, weil ihr schwindelig wurde. Wer seinen Keller so bemalte, mit dem konnte etwas nicht stimmen. Die Gemälde hatten nichts Künstlerisches, nichts Verspieltes, Kreatives an sich – sie muteten eher an, als habe hier jemand manisch seinen Albträumen Gestalt verliehen.
Und dann kamen auch noch Stimmen dazu. Stimmen, so trist und unmenschlich, dass sie im ersten Moment gar nicht anders konnte als sie den bizarren schwarzen Schemen an den Wänden zuzuschreiben. Klagende Rufe, wie sie sie oben ihm Salon vernommen hatte, viel näher und lauter jetzt, aber deswegen nicht verständlicher oder klarer einzuordnen.
Die Rufe hallten in dem unterirdischen Korridor wider, und wenn die Schatten sie schon nicht selbst ausstießen, dann schienen sie sich wenigstens daran zu laben.
Karen bekam Angst. Alle Furcht, die sie bisher begleitet hatte, war nichts dagegen. Sie hatte das Gefühl, zu viel riskiert zu haben, sich an einen Ort vorgewagt zu haben, an dem nicht nur ihr Leib, sondern auch ihr Verstand in Gefahr war.
Am Ende des Flurs, in einem dunklen Winkel, stand jemand. Sie sah ihn jetzt. Seine Kleidung waren zerschlissene graue Lumpen, und sein Kopf in einem dunklen Geflecht aus Haaren und Vollbart versteckt. Aber es war ein Mensch, keines von diesen Ungeheuern. Zu seinen Füßen kauerte ein zweiter, und in diesem Augenblick kroch aus einem angrenzenden Raum ein dritter hervor. Sie sahen sich ähnlich.
Es waren Gefangene. Gefangene, wie man sie aus Filmen kannte. Männer, die man in Kerker geworfen und sich selbst überlassen hatte, schmutzig und unrasiert. Einer hustete, die anderen wimmerten. Sie waren es, die diese Laute produzierten.
Karen wollte sich herumwerfen und die Flucht ergreifen. Doch ihr Verstand sagte ihr, dass sie damit nur Poster in die Hände laufen würde. Jetzt, wo ihre Vermutungen über die Gefangenen im Keller bestätigt worden waren, konnte er sie nicht mehr gehen lassen. Was immer hier vorging – mit dem deutschen Gesetz war es gewiss nicht vereinbar.
Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen. Die Männer kamen auf sie zu, ebenfalls zögernd. Die aufgemalten Schatten an den Wänden schienen gesichtslos zu grinsen, überheblich, als wären alle, die sich an diesem Ort aufhielten, ohnehin ihre Opfer und es kümmere sie nicht, was sie miteinander anstellten.
„Wer sind Sie?“, fragte Karen. Sie hob beide Hände, um zu zeigen, dass sie unbewaffnet war. Sie tun mir nichts , redete sie in Gedanken beschwörend auf sich ein. Sie interessieren sich für mich, weil sie denken, dass ich sie hier herausholen kann.
Der Mann, der aus dem Raum gekrochen kam, zog sich an der Wand nach oben. „Wer bist … du?“, wollte er mit lallender Stimme wissen. Sie bemerkte es jetzt. Es roch nach Alkohol, umso stärker, je näher sie sich kamen. Das gefiel ihr nicht. Es kam ihr vor, als taxierten sie die Männer. Sie war eine Frau, keine ausgesprochene Schönheit, aber auch nicht unattraktiv. Und sie war jung, gerade eben dreißig Jahre alt. Ihren Sohn hatte sie recht früh zur Welt gebracht, da waren Holger und sie noch nicht verheiratet gewesen und hatten das Kind auch nicht geplant gehabt.
Während einer der drei weiterhin seine klagenden Laute hervorbrachte, schienen die anderen heiser zu kichern. „Ich bin … P-Paul“, sagte einer und rülpste. Der Mann, der auf dem
Weitere Kostenlose Bücher