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Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus

Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus

Titel: Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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den Flaschenhals hinauf und zerplatzte an der Oberfläche. „Sebastian hat seinen Vater niedergestochen“, sagte sie. Sie wusste nicht, ob „niedergestochen“ das richtige Wort war, oder ob man es nur verwenden durfte, wenn jemand in die Brust gestochen wurde und dabei niederbrach. Aber es beschrieb am besten, was sie erlebt hatte. Vater war unter dem Stich in die Knie gegangen, und ihre Welt war gleich mit zusammengebrochen.
    Poster erstarrte in der Bewegung. „Nein!“, rief er dumpf aus. Es klang, als stamme es aus einem Theaterstück. Der Mann setzte sich und trank hastig von seinem Tee, wie jemand, der nach einem Schrecken einen Whisky hinunterstürzte. „Und nun geben Sie mir die Schuld dafür – ganz verständlich, es ist das Naheliegende. Nein, Sie müssen es sogar. Ihre Pflicht als Mutter gebietet es, Ihre Familie zu schützen.“
    Sie wollte etwas erwidern, doch er hob mit strengem Blick die Hand, und sie verstummte. „Bitte“, sagte er, „lassen Sie mich zunächst nachfragen, wie es Sebs Vater geht. Bitte sagen Sie mir, dass er nicht etwa …“
    „Holger lebt“, brachte Karen hervor. „Der Stich ging in die Hand. Aber Sie … hätten sehen sollen, wie es geblutet hat.“ Alles, was sie diesem wortgewandten Mann entgegenzusetzen hatte, waren die Bilder, die Erinnerung an den schrecklichen Anblick …
    Poster öffnete das Mineralwasser für sie und schenkte ihr ein, ohne dass sie ihn darum gebeten hatte. Dann goss er sich frischen, dampfenden, bernsteinfarbenen Tee aus einer Porzellankanne nach. „Frau Freund“, meinte er. „Verzeihen Sie die Frage, aber ist Ihr Sohn in Behandlung?“
    Verwirrt, empört beinahe schüttelte sie den Kopf. „Natürlich nicht! Er hat so etwas noch nie zuvor gemacht!“
    Poster nickte sanft. „Gewiss. Aber es hat … Vorzeichen gegeben, nicht wahr?“
    „Nein!“ Sie stemmte die Hände in das Polster der Couch. „Keine Vorzeichen …“
    „Gut. Sagen wir präziser, Sie haben die Vorzeichen nicht bemerkt. Das ist ganz normal. Machen Sie sich deswegen keine Vorwürfe. Man übersieht diese kleinen Dinge so schnell, vor allem dann, wenn man es – wie Sie – nicht leicht hat. Und nun suchen Sie bei mir nach Erklärungen für all das. Nach Erklärungen, die Sie in Wirklichkeit selbst in sich tragen. Nein, nein, entschuldigen Sie sich nicht! Es macht mir nichts aus. Jetzt, wo Sie schon einmal bei mir sind, werde ich Sie nicht nach Hause gehen lassen, ohne Ihnen wenigstens ein paar Ratschläge mit auf den Weg gegeben zu haben.“
    Worte des Protests lagen ihr auf der Zunge. Gleichzeitig spürte sie das Verlangen, sich bei ihm zu entschuldigen. Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Als sie endlich die richtigen Worte gefunden hatte, war es zu spät. Diesmal war es nicht ihr Gesprächspartner, der sie unterbrach.
    Geräusche drangen an ihre Ohren. Es waren eher – Stimmen. Rufe. In weiter Ferne schien jemand zu schreien. Karens Körper versteifte sich. Es hörte auf, ehe sie es näher analysieren konnte.
    „Sie hören es auch, nicht wahr?“, lachte Poster. Warum lachte er auf einmal? Es stand ihm nicht. „Ein wilder Herbsttag. Der Wind verfängt sich in jeder Ecke und jeder Kante dieser Villa, so dass man beinahe meinen möchte, man segle auf einem Seelenverkäufer weit draußen auf dem Ozean. Zum Glück schwankt das Haus dabei nicht.“
    Karen versuchte, zwischen seinen Worten hindurch zu lauschen, wie man zwischen den Latten eines Zaunes hindurchspäht. Hatte Poster bisher nur geflüstert, sprach er nun viel lauter.
    „Wissen Sie, was ich tun werde, Frau Freund?“ Er hörte gar nicht mehr auf mit Reden. „Ich werde Ihnen Einblick in meinen Kurs gewähren. Neulich habe ich einen Teil der Stunde auf Video aufgenommen.“
    „Ja?“, fragte sie, ein wenig alarmiert. „Warum tun sie so etwas?“
    „Nur, um die Kinder frühzeitig an das Gefühl zu gewöhnen, beobachtet zu werden. Später werden sie einmal Publikum haben und werden fotografiert und gefilmt werden. Ich habe die Kassette hier. Moment.“ Er ging zu einem der antiken Schränke und öffnete ihn. Ein moderner Flachbildfernseher kam zum Vorschein, im Regalbrett darunter ein kompakter, silbern glänzender Videorekorder. Eilig legte er das Band ein, spulte es einmal lautstark vor und wieder zurück, wohl hoffend, dass sie nicht mitbekam, was er tat. Doch sie war jetzt fast hundert Prozent wach. Die fremde Umgebung hatte ihre Sinne wachgerüttelt, der Einfluss der Medikamente war zu einem kaum

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