Menschenhafen
dies war, begriff man jedoch nicht, da es nicht einmal in zwanzig Meter Entfernung zu sehen war, und dabei hatte Simon gute Augen.
Er zwirnte das Netz zusammen, um zu vermeiden, dass es sich verhedderte, legte es auf den Felsen und ging nachsehen, was der Kater da eigentlich anstellte.
Als er auf den Steg trat, konnte er immer noch nicht erkennen, was Dante so erregte. Oder doch, da lag ein Seilende, das der Kater umkreiste. Das sah ihm allerdings ganz und gar nicht ähnlich, denn er war immerhin elf Jahre alt und ließ sich sonst nicht dazu herab, mit Papierschnipseln und Bällen herumzualbern. Dieses Tauende machte ihm jedoch ganz offensichtlich Spaß.
Dante griff schnell an und schaffte es, beide Pfoten auf das Seilstück zu legen, wurde jedoch mit einem Ruck zurückgeschleudert, als wäre es elektrisch aufgeladen gewesen. Dante wankte, fiel auf die Seite und legte sich platt auf den Steg. Als Simon bei ihm war, lag der Kater regungslos neben dem äußersten Poller. Das Ding, mit dem er gespielt hatte, war kein Seil, denn es bewegte sich. Es war eine Art Insekt, ein wurmartiges Insekt. Simon ignorierte es und ging neben dem Kater in die Hocke.
»Dante, mein Guter, was ist mit dir?«
Die Augen des Katers waren weit aufgerissen, sein Körper schüttelte sich einige Male wie von Schluchzern. Es lief etwas aus seinem Maul. Simon hob den Kopf des Katers an und sah, dass es Wasser war. Ein Strom aus Wasser ergoss sich aus dem Maul des Katers. Dante hustete, Wasser spritzte heraus. Dann lag er still. Seine Augen starrten leer.
Eine Bewegung im Augenwinkel. Das Insekt kroch auf dem Steg. Simon beugte sich darüber, studierte es genauer. Es war ganz schwarz, so dick wie ein Bleistift und so lang wie ein kleiner Finger. Seine Haut glänzte in der Sonne. Dantes Krallen hatten an einer Stelle einen Kratzer hinterlassen, dort sah man rosafarbenes Fleisch.
Simon stöhnte auf und schaute sich um. Eine vergessene Kaffeetasse stand auf dem Steg. Simon nahm die Tasse und stülpte sie über das Insekt. Er blinzelte mehrmals und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht.
Das ist nicht möglich. Das kann nicht sein …
Dieses Insekt fand man in keinem Insektenführer, und er, Simon, war vermutlich der einzige Mensch meilenweit, der wusste, was es war. Er hatte es schon einmal gesehen, vor vierzig Jahren, in Kalifornien. Damals war es jedoch tot und vertrocknet gewesen. Wenn das mit dem Kater nicht passiert wäre, wäre er niemals darauf gekommen.
Dante .
Der ursprüngliche Dante, nach dem alle Katzen Simons benannt waren. Der größte Zauberer von allen. Nach jahrzehntelangen Tourneen und Filmeinspielungen hatte er sich auf einer Ranch in Kalifornien zur Ruhe gesetzt und Simon dort eine Audienz gewährt, als dieser vierundzwanzig Jahre alt und ein vielversprechendes Talent war.
Dante hatte ihn durch sein Museum geführt. In Handarbeit entstandene Requisiten aus verschiedenen Epochen: die chinesischen Springbrunnen, die während einiger Jahre seine Glanznummer gewesen waren, Fluchtkisten in unterschiedlichen Ausführungen, wassergefüllte Kisten und Schränke, aus denen Dante sich in den Zirkusmanegen der Welt befreit hatte.
Als die Führung beendet war, hatte Simon auf eine kleine Glasvitrine gezeigt, die in einer Ecke stand. Mitten in der Vitrine stand ein Sockel, auf dem etwas lag, das wie ein Stück Lederschnur aussah. Er hatte sich erkundigt, was das war. Dante hatte dramatisch eine Augenbraue gehoben, eine wohl eingeübte Geste, und Simon im Dänisch seiner Kindheit gefragt, ob er an Magie glaube.
»Sie meinen … wahre Magie?«
Dante nickte.
»Dann muss ich wohl antworten, dass ich … Agnostiker bin. Ich habe zwar keine Beweise für ihre Existenz gesehen, schließe die Möglichkeit jedoch nicht grundsätzlich aus. Klingt das vernünftig?«
Dante schien mit seiner Antwort zufrieden zu sein und entfernte die Glashülle. Simon begriff, dass von ihm erwartet wurde, genauer hinzuschauen, was er auch tat, woraufhin er erkannte, dass die Lederschnur ein vertrocknetes Insekt war, das, obwohl es nur wenige Beine hatte, einem Tausendfüßler ähnelte.
»Was ist das?«
Dante sah Simon derart lange an, dass es diesem unangenehm wurde. Dann nickte der Zauberer, als hätte er stillschweigend einen Entschluss gefasst, stellte das Glas zurück, griff zu einem Buch mit Ledereinband und blätterte darin. Bunte Bilder flimmerten vor Simons Augen vorbei, bis Dante bei einer Seite innehielt und ihm das Buch hinhielt.
Das Bild,
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