Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
Kaffeetasse. Es war schon eine Ironie des Schicksals, dass es Dante war, der für ihn einen Spiritus finden sollte, um dann auch noch zu sterben.
    Einige Stunden später hatte Simon eine Kiste gezimmert, Dante hineingelegt und sie an jenem Haselstrauch vergraben, an dem der Kater immer gesessen und Singvögeln aufgelauert hatte. Erst da begann die Aufregung über seinen Spiritus sanfter Trauer zu weichen. Er war nicht sentimental und hatte vier verschiedene Kater mit dem gleichen Namen besessen, dennoch wurde mit diesem vierten Dante eine Epoche, eine Zeitspanne zu Grabe getragen. Ein kleiner Zeuge, der elf Jahre um seine Beine gestrichen war.
    »Lebe wohl, mein Freund. Danke für diese Zeit. Du bist ein toller Kater gewesen. Ich hoffe, du wirst es gut haben, wo immer du jetzt hinkommst. Und dass es dort Heringe gibt, die du dir mit deinen Pfoten selbst fangen kannst. Dass es dort jemanden gibt, der … dich gern hat.«
    Simon hatte einen Kloß im Hals und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Er nickte, sagte »Amen« und ging anschließend ins Haus.
    Auf dem Küchentisch lag eine Streichholzschachtel.
    Es war Simon gelungen, das Insekt hineinzubugsieren und die Schachtel zu schließen, ohne das Tier zu berühren. Vorsichtig näherte er sich der Schachtel und legte das Ohr daran. Man hörte nichts.
    Er hatte sich schlaugemacht. Er wusste, was von ihm erwartet wurde. Es fragte sich nur, ob er es auch tun wollte. Es war schwer zu ermitteln, was in den Büchern reine Spekulation war und was der Wahrheit entsprach, aber eins glaubte er trotz allem zu wissen: Wenn man sich an einen Spiritus band, ging man eine Verpflichtung ein. Man gab der Macht, die ihn freigesetzt hatte, ein Versprechen.
    Ist es das wirklich wert?
    Nein, im Grunde nicht.
    Als junger Mann wäre er angesichts der bloßen Möglichkeit völlig außer Rand und Band gewesen, aber inzwischen war er dreiundsiebzig Jahre alt und hatte seine magischen Requisiten vor zwei Jahren an den Nagel gehängt. Er zauberte nur noch für den Hausbedarf, wenn Bekannte ihn darum baten. Partytricks. Die Zigarette im Jackett, der Salzstreuer, der durch den Tisch ging. Nichts Besonderes. Folglich hatte er auch keinen Bedarf an echter Magie.
    Er konnte hin und her überlegen, so viel er wollte, letztlich wusste er, dass er es tun würde. Er hatte ein Leben im Dienst der Varietémagie verbracht. Sollte er jetzt einen Rückzieher machen, wenn sich vor seinen Fingerspitzen das Ding an sich befand?
    Idiot. Idiot. Du machst es, stimmt’s?
    Behutsam schob er die Streichholzschachtel auf und betrachtete das Insekt. Nichts an ihm deutete an, dass es ein Bindeglied zwischen der Welt der Menschen und der wahnsinnigen, wunderschönen Magie bildete. Es war in erster Linie eklig. Wie ein inneres Organ, das von seinem Platz losgeschnitten und daraufhin schwarz geworden war.
    Simon räusperte sich, sammelte Speichel.
    Dann tat er es.
    Die Spucke drang zwischen seinen Lippen heraus. Er senkte den Kopf über die Schachtel und sah, wie sich der zähe Schleim zu dem Insekt hinabbewegte. Ein dünner Faden hing noch an seinen Lippen, als der Speichel sein Ziel erreichte und sich auf der glänzenden Haut ausbreitete.
    Als wäre der Speichelfaden, der sie verband, eine Nadel gewesen, drang über die Lippen ein Geschmack zu Simon vor. Blitzschnell wurde er in seinen Körper gespritzt, und es war ein Geschmack, der mit nichts anderem vergleichbar war. Am nächsten kam ihm noch der Geschmack einer Nuss, die in ihrer Schale verfault war. Morsches Holz, gleichzeitig bitter und süß. Ein widerwärtiges Aroma.
    Simon schluckte trocken und schnalzte mit der Zunge gegen den Gaumen. Der dünne Strang riss, aber der Geschmack wurde in seinem Körper immer intensiver. Das Insekt zuckte zusammen, und die Wunde in seiner Haut begann zu heilen. Simon richtete sich auf, sein ganzer Körper war von Ekel erfüllt.
    Das war ein Fehler.
    Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, öffnete die Flasche und trank ein paar Schlucke, mit denen er seinen Mund ausspülte. Davon wurde es etwas besser, aber der Ekel in seinem Körper blieb, und er musste mehrfach würgen.
    Das Insekt hatte sich erholt, kroch aus der Schachtel auf den Küchentisch und nahm Kurs auf Simon. Er wich zur Spüle zurück und starrte den schwarzen Klumpen an, der zur Tischkante kroch, wo er sich mit einem weichen, feuchten Laut auf den Fußboden fallen ließ.
    Simon wich seitlich aus, zum Herd. Das Insekt änderte die Richtung, folgte ihm.

Weitere Kostenlose Bücher