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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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das die ganze Seite einnahm, war von Hand gemalt. Es zeigte ein wurmartiges und so gekonnt dargestelltes Insekt, dass auf seiner glänzenden schwarzen Haut das Licht schimmerte. Simon schüttelte den Kopf, und Dante seufzte und schlug das Buch wieder zu.
    »Es ist ein Spiritus, oder Spertus, wie ihr in Schweden sagt«, erläuterte er.
    Simon betrachtete die Vitrine, den Zauberer, erneut die Vitrine. Dann sagte er: »Ein echter?«
    »Ja.«
    Simon trat näher an das Glas heran. Das vertrocknete Wesen dahinter sah beim besten Willen nicht aus, als besäße es magische Kräfte. Simon betrachtete es lange.
    »Wie kann er tot sein? Denn er ist doch tot?«
    »Ich weiß es nicht, lautet meine Antwort auf beide Fragen. Ich habe ihn in diesem Zustand bekommen.«
    »Und wie?«
    »Darüber möchte ich nicht sprechen.«
    Dante machte eine Geste, die Simon zu verstehen gab, dass die Audienz im Museum vorbei war. Ehe Simon sich von der Vitrine losriss, fragte er noch: »Welches Element?«
    Der Zauberer lächelte schief. »Wasser. Was sonst.«
    Sie tranken Kaffee, machten höflich Konversation, und Simon verließ die Ranch. Zwei Jahre später war Dante tot, und Simon las in der Zeitung, seine Habe solle auf einer Auktion versteigert werden. Simon überlegte hinzufahren und das Ding in der Vitrine zu ersteigern, aber zum einen war er mitten in einer Tournee durch die Vergnügungsparks, und zum anderen würde die Sache mit der Reise und allem zu kostspielig werden. Er ließ es bleiben.
    In den folgenden Jahren musste er immer wieder an ihre Begegnung denken. Kollegen, denen zu Ohren kam, dass er Dante begegnet war, wollten alles über ihr Treffen wissen. Simon erzählte, ließ jedoch aus, woran er sich am besten erinnerte, Dantes Spiritus.
    Sicher, es mochte ein Scherz gewesen sein. Der Zauberer war nicht nur für seine Zauberkünste berühmt gewesen, sondern auch für die clevere Art, in der er sich mit aufsehenerregenden öffentlichen Auftritten selbst vermarktet und eine Aura des Mystischen um seine Person erschaffen hatte. Sein Äußeres, der Spitzbart und die dunklen Augen, waren jahrzehntelang das Sinnbild für einen Magier gewesen.
    Das Ganze war also womöglich eine Lüge.
    Dagegen sprach allerdings, dass Dante niemals öffentlich bekannt hatte, Besitzer eines Spiritus zu sein, und Simon niemanden ein Wort darüber verlieren gehört hatte. Dante schürte gerne Spekulationen, er habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, er stehe mit den Mächten der Finsternis im Verbund. Das war gute PR und selbstverständlich kompletter Unsinn.
    Angesichts der letzten Bemerkung des Zauberers in seinem Museum hatte Simon jedoch Vermutungen über eine zweite Version angestellt, eine, die Dante auf ganz andere Art als Lügner abstempelte. Vielleicht hatte Dante ja in Wahrheit gelogen, als er behauptete, er habe seinen Spiritus erst bekommen, als dieser bereits tot war.
    Wasser. Was sonst.
    Mit Wassermagie hatte Dante seine größten Triumphe gefeiert. In seinen Entfesselungsnummern, bei denen er sich aus wassergefüllten Gefäßen und Behältnissen befreite, stand er Houdini in nichts nach. Man erzählte sich, dass er mindestens fünf Minuten die Luft anhalten konnte. Oder seine Verschiebung von Wasser von einem Ort zu einem anderen, ein Trick, bei dem sich große Mengen Wasser an einer Stelle offenbarten, an der unmittelbar zuvor nichts gewesen war.
    Wasser. Was sonst.
    Wäre Dante Besitzer eines Spiritus des Elements Wasser gewesen, ließe sich das alles problemlos erklären: Es war echte Magie gewesen, und Dante hatte ihr nur Grenzen gesetzt, damit die Menschen nicht ahnten, worum es sich in Wahrheit handelte. Oder waren die Kräfte eines Spiritus begrenzt?
    Simon stellte Nachforschungen an.
    Seine agnostische Veranlagung musste immer mehr einem Glauben an das Fantastische weichen, zumindest was Spiritus betraf. Offenbar waren im Laufe der Jahrhunderte tatsächlich einige Menschen Besitzer eines Originals gewesen. Es handelte sich dabei stets um ein schwarzes Insekt, wie er es in Dantes Museum gesehen hatte, das den Elementen Erde, Feuer, Luft oder Wasser zugeordnet war.
    Er versuchte, allerdings erfolglos, herauszufinden, was mit dem Spiritus geschehen war, den er gesehen hatte, und bereute es bitterlich, dass er die Sache damals nicht in Angriff genommen hatte und hingefahren war, als es noch möglich gewesen wäre. Nie wieder würde er einen Spiritus zu Gesicht bekommen.
    Glaubte er.
    Er betrachtete abwechselnd den toten Kater und die

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