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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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trotzdem fragte er:
    »Dieses Haus. Es lag da, wo ihr Haus, Elins Haus, heute liegt, stimmt’s?« Er berichtigte sich. »Wo es bis vorgestern Abend lag?«
    Simon nickte. Anders bekam den Mund nicht mehr zu und studierte die Fotografien. Dann sagte er: »Darf ich raten? Sie hat sich ertränkt?«
    Anna-Greta nahm das Bild der vergrämten Elsa in die Hand, musterte es und seufzte. »Das ist ja vor meiner Zeit passiert, aber … Torgny meinte, sie hätte damals gedroht, sich zu ertränken, wenn man ihr das Häuschen abnehmen würde. Dann hat man ihr das Häuschen abgenommen. Und danach ist sie verschwunden.«
    Wenn man sich vorstellte, dass sich alle Eindrücke, die seit seiner Ankunft auf Domarö in Anders hineingeflossen waren, in einem Fass gesammelt hatten, so war dies der letzte Tropfen Information, der das Fass zum Überlaufen brachte.
    Die Worte schossen ihm förmlich aus dem Mund. Er erzählte alles. Angefangen bei der ersten Wahrnehmung von Majas Anwesenheit bis hin zu seiner immer stärker werdenden Überzeugung, dass sie sich im Haus aufhielt. Die Stiftplatte, die immer voller wurde, die Fotografien, die er entwickeln ließ, und die Buchstaben, die auf dem Küchentisch geschrieben standen. Von den ersten nächtlichen Schlägen gegen seine Tür und dem Gefühl, überwacht zu werden, bis zu seiner Begegnung mit Henrik und Björn an diesem Abend. Endlich floss das alles aus ihm heraus.
    Simon und Anna-Greta lauschten aufmerksam, ohne ihn mit Fragen zu unterbrechen. Als Anders fertig war, stand Anna-Greta auf, zog einen Küchenstuhl zu sich heran und stellte sich auf ihn, um an den obersten Küchenschrank zu kommen. Sie hob eine Flasche herab und stellte sie auf den Tisch. Auch Simon schien nicht zu wissen, was sich in ihr befand, denn er sah Anna-Greta fragend an.
    Der Inhalt der Flasche sah aus, als wäre etwas eingelegt worden. Zweige und Blätter füllten das Flascheninnere, umschlossen von einer Flüssigkeit, mit der sie halb gefüllt war. Anna-Greta holte ein Schnapsglas, das sie mit der trüben Flüssigkeit füllte.
    »Was ist das?«, fragte Anders.
    »Wermut«, antwortete Anna-Greta. »Es heißt, dass er einen schützt.«
    »Wovor?«
    »Vor dem, was aus dem Meer kommt.«
    Anders sah von Simon zu Anna-Greta. »Heißt das, ihr glaubt mir?«
    »Inzwischen schon«, sagte Simon und zeigte auf das Glas. »Davon habe ich allerdings nichts gewusst.«
    Anders roch an dem Inhalt. Es war Schnaps, und so weit war alles gut und schön. Aber der Duft, der ihm zusammen mit den Alkoholdünsten entgegenschlug, war ölig und bitter mit einem Hauch von Verwesung. »Ist Wermut nicht giftig?«
    »Doch«, erwiderte Anna-Greta. »Aber nicht in kleinen Mengen.«
    Natürlich glaubte er nicht, dass seine Großmutter ihn vergiften wollte, aber der Geruch aus dem Glas in seiner Hand glich stärker der Essenz alles Giftigen als jeder andere zuvor.
    Wermut …
    Eine ganze Reihe von Assoziationen schoss ihm durch den Kopf, als er das Glas zum Mund führte.
    Die Wermutwiese am Ufer … die Plastikflasche im Schuppen, auf der dieser Vogel gestanden hatte … und der Name des Sterns war Wermut … Tschernobyl … und die Flüsse werden vergiftet werden … Wermut, der Feind des Wassers …
    Entschieden wurde die Sache dadurch, dass er sich verzweifelt nach einem Schnaps sehnte. Er kippte den Inhalt des Glases herunter. Das Getränk schmeckte unglaublich bitter, und seine Zunge zog sich aus Protest zusammen. Es kam ihm vor, als würde ihm der Alkohol direkt ins Gehirn steigen, und ihm wurde schwindlig vor Augen, als er das leere Glas abstellte. Seine Zunge war wie gelähmt, und er lallte: »Lecker war das nicht.«
    Wärme strömte in seine Adern und bis in die Fingerspitzen, wo sie kehrtmachte und nochmals durch den Körper floss. Mit Lippen, die sich wegen des grauenvollen Geschmacks noch kräuselten, fragte er: »Kann ich noch einen haben?«
    Anna-Greta schenkte ein, schraubte die Flasche anschließend zu und stellte sie in den Schrank zurück. Anders leerte das Glas, und da sein Gaumen durch den ersten Schock bereits betäubt war, schmeckte es diesmal nicht mal halb so schlimm. Als er das Glas absetzte und schmatzte, fand er sogar den Hauch eines Nachgeschmacks, der … gut war.
    Er stützte sich auf den Tisch und stand auf. »Kann ich mir eine Hose leihen? Ich muss zum Haus runter und nachsehen, ob Elin da ist, sonst … weiß ich nicht, was wir tun sollen.«
    Simon ging los, um in den »Eckchen« zu suchen, den kleinen

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