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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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deswegen die Säge ab, zog die Ohrenschützer ab und machte sich daran, die Kette zu schleifen.
    Auch Lasses Säge schwieg, weshalb Mats hören konnte, dass woanders gesägt wurde, zum Dorf hin und ein gutes Stück von den frisch gefällten Bäumen entfernt, die sie bearbeiteten. Er richtete sich auf und suchte nach der Quelle des Geräuschs. Als er sie fand, ließ er seine Säge fallen und lief los.
    Als Holgers Vater Kattudden an den Stockholmer Immobilienmakler verkaufte, hatten sich zwei Familien eingemischt und dem Makler das Versprechen abgerungen, ihm zumindest einen kleineren Teil des Areals abkaufen zu dürfen, damit nicht alles in den Besitz von Fremden gelangte. Ihnen waren daraufhin ein paar Parzellen Bauland weit weg vom Meer, Richtung Wald zugeteilt worden.
    Familie Bergwall, zu der Lasse gehörte, war eine der beiden. Seine Mutter, Margareta Bergwall, war heute die Besitzerin der beiden Sommerhäuser, die auf der westlichen Anhöhe, ungefähr dreihundert Meter vom Ufer entfernt, lagen, jedoch teilweise Meerblick hatten. Die Häuschen wurden an Sommerurlauber vermietet, aber Lasses Bruder Robert plante, eines von ihnen auszubauen und wieder heimzuziehen.
    Auf der Grenze zwischen den beiden Grundstücken stand Kattuddens größte Birke. Ein richtiges Prachtexemplar von gut zwanzig Metern, das ein erwachsener Mann nur mit großer Mühe umarmen konnte. Diesen Baum fällte Karl-Erik.
    Als Mats sah, was er da trieb, ließ er wie gesagt seine Säge fallen und eilte zu Karl-Erik. Die Birke stand zwischen den Grundstücken, neigte sich jedoch leicht zum Haus von Lasses Mutter, und so, wie Karl-Erik die Fallkerbe sägte, strebte er an, die natürliche Neigung des Baums auszunutzen, um die Birke geradewegs auf das Dach von Lasses zukünftigem Erbteil krachen zu lassen.
    »Karl-Erik!«, schrie Mats, als er in Hörweite kam. »Karl-Erik, was tust du denn da!«
    Aber Karl-Erik hatte Ohrenschützer an und hörte ihn nicht. Er schnitt gerade das letzte Stück des Keils heraus und trat ihn fort, sodass am Fuß des Baums eine breite und tiefe Kerbe zu Lasses Haus hinübergähnte wie ein hungriger Mund. Er begutachtete sein Werk, schien zufrieden und trat um den Baum herum, um den Fällschnitt anzusetzen. Das würde binnen einer Minute getan sein, und der Baum würde fallen.
    Mats erreichte Karl-Erik, als die ersten Späne vom Baum wirbelten, packte seine Schulter und rüttelte sie. Karl-Erik blickte auf, und Mats wich einen halben Schritt zurück. Die Augen, die ihn ansahen, waren weder zornig noch verwirrt. Sie waren so leer und eiskalt wie das Meer im November. Man muss es wohl als ein Zeichen für Mats’ Mut sehen, dass er Karl-Erik, als dieser erneut Gas gab, die Ohrenschützer vom Kopf riss und schrie: »Bist du wahnsinnig geworden! Hör auf! Du darfst den Baum nicht fällen! Hör auf damit!«
    Karl-Erik drohte ihm mit der Säge, und Mats musste erneut zurückweichen. Er strich sich mit den Händen über sein verschwitztes Gesicht und dachte: Er ist vollkommen verrückt geworden. Wie kann ich ihn nur aufhalten?
    Er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, da Lasse erfasst hatte, was vorging, und nun mit seiner Säge in den Händen herbeilief. Als Karl-Erik das Sägeschwert erneut in den begonnenen Fällschnitt führte, rannte Lasse auf ihn zu und Mats sah, dass auch seine Augen leer waren. Sie starrten Karl-Erik unverwandt an, drückten jedoch nicht das geringste Gefühl aus.
    Erst jetzt bekam Mats wirklich Angst.
    Hinter ihm brüllte Karl-Eriks Säge, und die Späne kitzelten seine Waden, vor ihm kam Lasse mit erhobener Säge und einem Motor auf Vollgas angerannt. Es kann niemanden wundern, dass Mats tat, was jeder andere in seiner Situation auch getan hätte. Er trat zwei Schritte zurück und zog schreiend die Aufmerksamkeit der Leute auf sich, die an der Brandstelle rodeten: »Hilfe! Kommt her! Die bringen sich um! Kommt her!«
    Bei Mats’ Schrei schaute Karl-Erik auf und erblickte in letzter Sekunde die Bedrohung. Er zog die Säge aus der Kerbe und sprang zurück, als Lasse heranstürmte und ihn mit dem Schwert angriff. Die kreischende Kette verpasste Karl-Erik um zehn Zentimeter, und mitgerissen von seinem eigenen Schwung fiel Lasse kopfüber mit der Säge in den Händen, dass ihm das Kettenöl ins Gesicht spritzte.
    Mats sah Karl-Erik Vollgas geben und die Säge auf Lasses Rücken herabsenken und dachte noch Er tut es! , ehe er sich rein instinktiv auf Karl-Erik stürzte. Die Kette durchschnitt die Träger

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