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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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sich abgetrocknet hatte, stellte er fest, dass die weißen Punkte verschwunden waren und er wieder klar sehen konnte.
    Der Badezimmerspiegel war beschlagen. Er wischte mit der Hand einen Flecken frei und inspizierte die Wunde am Hals. Es sah nicht so schlimm aus, wie es war, dennoch konnte er die Schlagader unter dem Bindegewebe wie einen kleinen Fisch in einem Netz zappeln sehen. Er fand ein paar Kompressen und Heftpflaster und verband die Wunde, so gut es ging. Der Schnitt am Hals hätte eigentlich genäht werden müssen, aber nach Norrtälje zu fahren, in der Chirurgischen Ambulanz zu warten und zu versuchen, die Sache einem Arzt zu erklären … das ging einfach nicht.
    Und außerdem …
    Als er mit Henrik und Björn kämpfte, als er hinterher durch das Wasser watete, um ins Boot zu kommen, war ihm eine Art Erkenntnis zuteil geworden. Sie mochte zwar von seinem mitgenommenen Zustand abhängen, aber er glaubte es eigentlich nicht, und Simon hatte zudem etwas Ähnliches gesagt: Es war geschwächt.
    Es gab eine Schwäche im Meer. Deshalb war Sigrid an Land getrieben worden, und deshalb war es einigen der verschwundenen Menschen gelungen, sich freizumachen und in die Brunnen einzudringen. Es gab eine Müdigkeit, einen Mangel an Aufmerksamkeit, und diesen gedachte er auszunutzen. Wenn er es konnte. Wenn es ihn überhaupt gab.
    Er ging nackt durch den Flur, hob den Schneeanzug auf und begab sich ins Schlafzimmer. Von der Kälte im Haus bekam er eine Gänsehaut, und er zog saubere Kleider an, die er aus der Stadt mitgebracht hatte. Unterwäsche, eine schwarze Cordhose und ein blau-weiß kariertes Hemd. Im Kleiderschrank fand er den dicken, grünen Wollpullover seines Vaters und zog ihn sich vorsichtig über den Kopf. Der Polokragen kratzte am Hals, war aber gut, weil er die Kompressen an Ort und Stelle hielt.
    Er fühlte sich, als würde er sich für seine eigene Hinrichtung herausputzen, und das war ein gutes Gefühl. So weit war es mit ihm gekommen. Eigentlich hätte er auch das Haus putzen und alles sauber und ordentlich zurücklassen sollen, aber dazu fehlten ihm die nötige Zeit und Kraft.
    Er musterte Majas Schneeanzug und kam zu dem Schluss, dass sich die Flecken nur durch einen Waschgang entfernen lassen würden, aber auch dafür war jetzt keine Zeit. Er schlang ihn sich um den Bauch und schaffte es, die Arme zu verknoten und die Beine so hineinzustopfen, dass er zu einer übergroßen Bauchtasche wurde.
    Er ging in den Flur und hob Simons Jacke auf. Seine Finger fanden die halb im kaputten Futter der Tasche verborgene Streichholzschachtel. Er nahm sie mit in die Küche, setzte sich an den Tisch und sah aus dem Fenster.
    Das Boot hatte er offensichtlich doch festgemacht, zumindest achtern. Der Bug zeigte im rechten Winkel vom Steg weg, und der Motor rieb sich am Steg, aber da es praktisch windstill war, bestand kein Grund zur Sorge. Jenseits des Stegs, auf der Förde, sah er den Leuchtturm von Gåvasten, einen weißen Punkt im Morgenlicht. Eine Spiegelung blitzte wie ein mahnendes Blinken auf.
    Mach dir keine Sorgen. Ich komme.
    Spiritus räkelte sich träge an den Wänden der Schachtel, als Anders sie öffnete und Spucke fallen ließ. Als er die Schachtel wieder zuschieben wollte, wurde die Haut gerunzelt, da das Insekt mittlerweile so dick geworden war, dass es eigentlich nicht mehr genug Platz hatte.
    Er hätte es mit dem Finger anstoßen und in den vorhandenen Platz zwängen können, aber das wäre dann doch zu weit gegangen. Immerhin hatte es ihm letzte Nacht das Leben gerettet. In der Krimskramsschublade fand er eine Schachtel mit längeren Streichhölzern, die etwas größer war. Er kippte die Streichhölzer aus und Spiritus hinein.
    Es war nicht zu erkennen, ob sich das Insekt in seinem neuen Gefängnis wohler fühlte, aber die Schachtel ließ sich zumindest widerstandslos schließen. Anders stand auf und schob die neue Schachtel in die Hosentasche.
    Er hätte hungrig sein müssen, war es aber nicht. Es schien, als hätte sich sein Magen um die eigene Leere verhärtet und wollte keine Nahrung mehr hereinlassen. Auch gut. Er konnte sich ohnehin nicht vorstellen, was er essen sollte.
    Er füllte ein Glas mit Wasser aus dem Küchenhahn, leerte es, Prost, mein Liebling , und füllte es von Neuem. Und noch einmal. Der bereits steife Magensack zog sich um die kalte Flüssigkeit zusammen.
    Auf der Arbeitsfläche stand die Wermutflasche. Ohne das Für und Wider abzuwägen, setzte Anders sie an die Lippen und

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