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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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konnte, verließ er Kattholmen und nahm Kurs auf Domarö. Er wusste, was er zu tun hatte, musste sich aber erst ausruhen und wieder zu Kräften kommen.
    Als er seinen Bootssteg erreichte, war er fast bewusstlos, und erst auf halber Strecke zu seinem Haus sah er sich selbst für einen kurzen Moment und stellte sich eine Frage:
    Hast du das Boot festgemacht?
    Er wusste es nicht, erinnerte sich nicht und hatte nicht einmal mehr die Kraft, sich umzudrehen und es zu überprüfen. Er würde ohnehin nicht fähig sein, etwas daran zu ändern, wenn er es nicht vertäut hatte. Kurz darauf war er sich vage bewusst, dass er die Haustür öffnete, hinter sich schloss, eine Flasche verdünnten Wein auf der Kommode fand und leerte. Danach brach er auf dem Teppich im Flur zusammen und wusste nichts mehr.
    Der Erste
    Anders wird der Letzte sein. Lassen wir ihn schlafen und sich ausruhen. Er hat es nötig. In der Zwischenzeit wollen wir der Geschichte vom Ersten lauschen.
    Es ist eine Art Märchen, und wie bei allen Märchen sind die Details auf dem Ozean der Zeit fortgetrieben, und wir blieben am Ufer bestenfalls mit einem Kielbrett, einer Galionsfigur oder einem stockfleckigen Logbuch zurück.
    Etwas geschah. Es geschah irgendwann. Das ist alles, was wir wissen müssen. Zu jener Zeit, als Domarös Bewohner von der Heringsfischerei und einer unheiligen Allianz mit den Mächten der Tiefe lebten, war das Märchen vielleicht besser bekannt. Heute sind nur noch Bruchstücke übrig, und wir müssen unserer Fantasie erlauben, das Schiff zu bauen.
    Denn es geht um ein Schiff. Oder vielmehr um die Überreste eines Schiffs. Es könnte eine kleinere Kogge gewesen sein, das ist nicht weiter wichtig. Das Schiff hatte Salz geladen, verkehrte vermutlich zwischen Estland und Schweden, war auf dem Hin- oder Rückweg.
    Die Besatzung mag aus Schweden oder Esten bestanden haben, wir müssen hier jedoch nur auf einen Überlebenden Rücksicht nehmen. Wir setzen voraus, dass er Schwede war, und nennen ihn Magnus.
    Wir finden ihn in der Ålandsee. Sein Schiff ist vom Kurs abgekommen und in einem ungewöhnlich dichten Oktobernebel zerschellt. In panischer Angst und durchgefroren bis ins Mark ist es Magnus gelungen, auf ein Teil des losgebrochenen Hecks zu klettern. Er ruft nach seinen Schiffskameraden, bekommt aber keine Antwort. Der Nebel hüllt ihn ein wie eine Decke und hindert ihn sogar daran, die Größe des Wrackteils zu sehen, das ihn trägt.
    Aber es schwimmt. Er hat Glück im Unglück gehabt. Das Bruchstück, an das er sich klammert, ist so geformt, dass kein Teil seines Körpers im Wasser liegt. Er hat Glück gehabt. Wenn er nur nicht so schrecklich frieren würde!
    Wir wissen nicht, wie lange Magnus so umhertreibt. Es können Tage sein, aber wahrscheinlicher ist, dass es nur um Stunden geht, da der Nebel sich nicht auflöst. Er treibt durch eine milchig weiße Welt und hört, abgesehen von denen, die er selbst von sich gibt, wenn er die Stellung wechselt oder in die Leere hinein um Hilfe schreit, nicht das geringste Geräusch.
    Das Erste, was er wahrnimmt, ist weder etwas Sichtbares noch ein Geräusch. Es ist ein Geruch. Und der bloße Geruch, der Duft ist genug, um ihm das Gefühl zu geben, dass Wärme in ihn einsickert. Es ist der Geruch von Vieh.
    Es ist ihm nämlich schon einmal passiert, dass er im Nebel in die Irre gesegelt ist. Damals hatte man die Segel gerefft und darauf gewartet, dass sich der Nebel auflösen würde. Doch noch bevor das geschah, bekam man durch diesen Geruch Kontakt mit dem Land. Dung, Tierkörper, Land! Vieh bedeutete menschliche Behausungen, bedeutete Rettung. Man war auf den Geruch zugerudert und hatte zum Hafen gefunden.
    Daher der Funken Hoffnung, der nun in Magnus verschreckten Eingeweiden rumort. Er packt ein loses Brett und paddelt in die Richtung, aus welcher der Geruch zu kommen scheint. Offenbar ist er auf dem richtigen Weg, denn der Geruch wird stärker.
    Er hört eine Kuh muhen. Der Nebel beginnt, sich in Schwaden und Schleier aufzulösen. Die Kälte wird abgemildert, und die leichte Brise, die den Geruch zu ihm trägt, ist warm, eine richtige Sommerbrise.
    Wahrscheinlich ist Magnus gläubig. Wahrscheinlich preist Magnus Gott, als sich der Nebel schließlich lichtet und er endlich Land sieht. Aber er kann kaum glauben, welcher Anblick sich seinen Augen bietet.
    Das Paradies.
    Das ist die einzige Erklärung. Er muss so gründlich vom Kurs abgekommen sein, dass er im Paradies gelandet ist. Er hat Geschichten

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