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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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entkräftet, und er konnte nur noch liegen bleiben, schaffte es aber mit Mühe, den Kopf zur Seite zu drehen, damit er atmen konnte. Die Minuten verstrichen, und die Kälte des Erdbodens ließ die rechte Seite seines Kopfs taub werden. Spiritus kroch in seiner Hand, ohne einen Fluchtversuch zu machen. Anders spürte die Wasseradern und Rinnsale in der Erde unter sich und konnte sie kaum von seinem eigenen, geschwächten Blutkreislauf unterscheiden.
    Ich … sinke …
    Wärme verströmte einzig und allein die pochende und brennende Wunde in seinem Hals. Die warme Wunde blieb an der Oberfläche, während er selbst in die Kühle der Erde sank und es um ihn herum dunkel wurde. Er verlor den Kontakt zu seinem Körper und fiel.
    Singe mich in den Schlaf …
    Er wusste nicht mehr, was oben oder unten war, er war im freien Fall, aber ohne einen Grund oder ein nahendes Ende zu fühlen. Er trieb. Er war in dunklem Wasser und ertrank.
    Seine Lunge zog sich zusammen, als er eine Luft einzuatmen versuchte, die es nicht gab. Er hatte nur noch zwei Sekunden zu leben. Doch die Sekunden verstrichen, und sein Bewusstsein schwebte weiter in der gestaltlosen Finsternis und weigerte sich zu erlöschen und dachte: Ich bin hier schon einmal gewesen. Ich weiß, was als Nächstes passiert.
    Das Grauen angesichts dessen, was kommen würde, ließ ir gendwo draußen in der Dunkelheit ein Herz schneller schlagen. Es mochte sein eigenes Herz sein, aber Unterscheidungen dieser Art waren hier sinnlos. Es gab ein Herz, das angsterfüllt schlug, und es gab etwas, das näher kam.
    Jetzt kommt es …
    Die Dunkelheit verdichtete sich, im Innern eines Schattens nahm ein Schatten Gestalt an. Gegen diesen Schatten war er nichts und er wurde von ihm angesogen wie der Krill, der durch die Barten der Wale gesiebt werden sollte. Der Schatten interessierte sich nicht für ihn, er war zu gewaltig, um sich für ihn zu interessieren, aber Anders war ihm im Weg, und er wurde in ihn hineingezogen.
    Komm jetzt … komm jetzt …
    Eine Hand schob sich in seine, eine kleine Hand. Sie zerrte und zog. Majas Hand.
    Jetzt komm doch!
    Nein. Ich bin Maja. Papas Hand ist so groß. Wenn wir gehen, halte ich bloß seinen Zeigefinger. Sein Zeigefinger ist in meiner Hand. Warum geht er nicht?
    Jetzt komm schon, Papa!
    Ihre Hand ist in meiner, sie ist so klein und schmal, sie ist so, als hielte ich einen Finger, komm jetzt Papa, komm jetzt, wir müssen gehen!
    Ich komme.
    Er folgte der Hand, die ihn zog, er zog an dem Finger, der ihm folgte, und die Dunkelheit changierte in Aluminium, während der Finger und die Hand zu einem Insekt wurden und die salzgesättigte Seeluft in einem einzigen, tiefen Atemzug in seine Lunge gesaugt wurde.
    Ich komme.
    Das Sehvermögen kehrte zu seinen Augen zurück. Er konnte atmen. Sein Körper lag auf einer Grasböschung. Wind strich über sein Gesicht. Neben ihm lagen wie zum Trocknen im Mondschein nasse Kleider ausgestreckt. Der Position des Mon des am Himmel nach zu urteilen, war er lange, möglicherweise Stunden, bewusstlos gewesen. Zehn Meter entfernt lag aufs Ufer gezogen das Boot.
    Das schaffe ich nicht.
    Er sah die anstrengende Arbeit vor sich, das Boot ins Wasser zu schieben, den Motor anzulassen. Er glaubte nicht, dazu noch in der Lage zu sein. Er wollte weiterschlafen, aber ohne Träume.
    Komm jetzt!
    »Ja, ja …«, murmelte Anders, rappelte sich auf wackligen Beinen hoch und taumelte zum Boot. Der Wind hatte um einige Sekundenmeter aufgefrischt und ihm ein bisschen geholfen. Die kleinen Wellen hatten das Boot bearbeitet und angefangen, an ihm zu ziehen. Kurze Zeit später wäre es vermutlich abgetrieben. Anders brauchte ihm nur einen leichten Stoß zu versetzen, um es ins Wasser gleiten zu lassen, und krabbelte und fiel über die Reling.
    Er versuchte die Hand zu öffnen, in der er Spiritus hielt, aber seine Finger hatten sich verkrampft. Mithilfe der etwas beweglicheren Finger der anderen Hand gelang es ihm, sie aufzuzwingen und Spiritus in die Streichholzschachtel zurückzukippen. Er starrte den Motor an.
    Einen Ruck. Einen schaffe ich.
    Als der Motor nicht beim ersten Ruck ansprang, hätte er am liebsten aufgegeben, aber er biss die Zähne zusammen, sprach undeutlich ein Stoßgebet und zog noch einmal. Der Motor sprang an. Ehe er die Hand um den Gasgriff schloss, kontrollierte er, dass der Schneeanzug noch unter seiner Jacke war.
    Nutzlos.
    So auf der Fahrerducht zusammengekauert, dass er gerade so über die Reling schauen

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