Menschenhafen
beobachtete sie. Sie bewegten sich im Uhrzeigersinn.
Die Mittelachse.
Allein in der Stille auf dem verlassenen Meer, wo das einzige Geräusch und die einzige Bewegung von den Möwen kamen, war es unschwer zu erkennen. Sie hielten die Welt durch ihr Kreisen um die Mittelachse in Gang.
Seine Gedanken wollten schon abschweifen, wurden jedoch von einem neuerlichen Knirschen unterbrochen. Diesmal entstand der Laut nicht, weil das Boot durch gefrierendes Wasser fuhr. Diesmal lag es an dem, was er anfangs angenommen hatte. Der Glasfiberrumpf des Boots knirschte, als das Eis ihn in den Würgegriff nahm und zudrückte. Anders schüttelte den Kopf.
Tut mir leid. So einfach ist das nicht.
Wenn es eine Form von denkender Kraft hinter all diesen Geschehnissen gab, war sie nicht besonders intelligent. Das Boot mochte sie gestoppt haben. Ihn zu stoppen war jedoch bedeutend schwieriger. Anders tätschelte zärtlich die Mütze von Tino Tatz, Hier kommt der Trolle Kompanie , und schwang sich über die Reling.
Das Eis trug ihn. Er ließ das Boot zurück und ging über das Wasser zum Leuchtturm.
Die Hochzeitsreise
Die Fähre war ein schwimmender Mikrokosmos aus Vergnügungen. Man ging ein paar Schritte, um zu essen, ein paar Schritte, um im Duty-free-Shop einzukaufen. Man ging um die Ecke, um zu tanzen, und nahm eine Treppe nach oben oder nach unten, wenn man schlafen gehen wollte. Simon fand in der Regel, dass es eine angenehme Abwechslung zu den Problemen war, die man auf Domarö mit Entfernungen hatte, aber auf dieser Reise bescherte ihm das Schiff eher Platzangst als ein Gefühl von Freiheit.
Dabei hatten Anna-Greta und er eine größere und schönere Kabine als auf früheren Fahrten. Es war zwar nicht direkt eine Suite, aber sie lag im Oberdeck und hatte Fenster. Simon hatte sich in den Kabinen in den unteren Decks immer ziemlich wohl gefühlt und sich vom Stampfen der Motoren einschläfern lassen, aber letzte Nacht hatte er mit Anna-Greta neben sich und Beklemmungen in der Brust wach gelegen.
Habe ich das Richtige getan?
Das war die Frage, die ihn quälte. Er hatte Spiritus an Anders weitergegeben, und zwar so, dass es nur als Ermunterung aufgefasst werden konnte, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. War das richtig gewesen?
Simon lag in seinem Bett, lauschte dem Rauschen des Meeres an den Seiten des Schiffs und fühlte sich vor Zweifel und Sorge schwerelos. Er hatte sich vorgenommen, seinem Schicksal gemeinsam mit Spiritus bis zum vermutlich bitteren Ende zu folgen. Er hatte sich nicht sonderlich gefürchtet.
Oder etwa doch?
Hatte er in Wahrheit Angst gehabt und Anders ausgenutzt, um sich von dieser Furcht zu befreien? Er konnte es nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Er hatte seinen Halt und seinen Ballast verloren, als er Spiritus abgab, und empfand keine Erleichterung, sondern unangenehme Schwerelosigkeit.
So verstrich Simons Nacht, während die Finnlandfähre durch die Dunkelheit stampfte. Gegen Morgen erreichten sie die ersten Felseneilande der Schären nördlich von Stockholm. Als Anna-Greta aufgewacht war, zogen sie sich an und gingen in den Frühstückraum hinunter.
Nachdem sie sich Brötchen, Brotbelag und Kaffee geholt und an einen Fenstertisch gesetzt hatten, sah Anna-Greta Simon forschend an und fragte: »Hast du heute Nacht überhaupt geschlafen …«, sie verzog den Mund und ergänzte: »… mein Gatte?«
Simon lächelte matt. »Nein … meine Gattin … daraus ist nicht viel geworden.«
»Wie kommt’s?«
Simon rieb sich mit dem Zeigefinger über die Handfläche und starrte das Rührei auf seinem Teller an, das von den Vibrationen des Schiffs waberte. Es sah aus, wie sein Kopf sich anfühlte, und es gelang ihm nicht, eine gute Antwort zu finden. Als es eine Weile still geblieben war, fragte Anna-Greta: »Gibt es da nicht etwas, das du … tun musst?«
»Was meinst du?«
Anna-Greta nickte zu seiner Jacketttasche. »Mit deiner Schachtel.«
Der Zeigefinger rieb kräftiger, und sein Handteller begann zu brennen. Simon schaute zum Fenster hinaus und sah, dass aus den Felseninselchen größere Inseln geworden waren. Sie hatten soeben Söderarm hinter sich gelassen. In einer knappen Stunde würden sie in Kapellskär anlegen. Der Zeigefinger hörte auf zu reiben, und er ließ die Handflächen auf der Tischplatte ruhen.
»Es ist so, dass … ich ihn Anders gegeben habe.«
»Gegeben?«
»Ja, oder … übergeben. Überlassen.«
Anna-Greta runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Und
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