Menschenhafen
Tochter des Schmugglerkönigs
Es kam alles ganz anders, als Anna-Greta es sich vorgestellt hatte. Erik schien seine gesamte Kraft dafür verpulvert zu haben, das Haus fertigzustellen und zu heiraten. Als das erledigt war, fehlte ihm die Energie, sich neue Ziele zu setzen.
Den Sommer über, als die Flamme der ersten Verliebtheit noch brannte, war das nicht weiter schlimm, aber als es Herbst wurde, begann Anna-Greta sich zu fragen, ob Erik sie wirklich aus Liebe geheiratet hatte. Vielleicht war es für ihn nur ein Projekt wie das Haus. Das Haus bauen, die Ehefrau installieren. Erledigt.
Hitler war am 1. September in Polen einmarschiert, und in den Schären herrschte fieberhafte Aktivität. Die Küstenlinie sollte befestigt werden, und die Zerstörer und Transportschiffe der Marine pendelten zwischen Nåten und den Inseln um Stora Korset, dem letzten Außenposten vor der Ålandsee. Zwei Kanonenbatterien und eine Reihe von Schutzwällen sollten errichtet werden, und mehrere junge Männer bekamen dort Arbeit und sprengten Kabelgräben, mauerten Wände und zogen Zäune. Die Russen hatten ihren Ton Finnland gegenüber verschärft, und es herrschte große Unsicherheit.
Erik hatte seine Ersparnisse in den Bau des Hauses gesteckt, und die frisch vermählten Eheleute lebten so gut es eben ging von Anna-Gretas Näharbeiten, Eriks Tagelöhnereinkünften im Sägewerk von Nåten und Geld, das die jeweiligen Eltern zuschossen. Erik knirschte mit den Zähnen bei dem Gedanken, Geld von seinem Vater annehmen zu müssen, und was Anna-Gretas Vater betraf … tja, dazu sagte Erik eines Abends, als Anna-Greta wieder einmal mit ein paar Zehnern nach Hause gekommen war, unverhohlen seine Meinung: »Das da ist Geld aus kriminellen Machenschaften.«
Anna-Greta war nicht auf den Mund gefallen und entgegnete: »Besser Geld aus kriminellen Machenschaften als gar keins.«
Je weiter der Herbst fortschritt, desto mehr schlich sich Kühle zwischen ihnen ein, und als sich Eriks alter Klassenkamerad Björn zu den Trupps gesellte, die Wälle auf den äußersten Inseln errichteten, begleitete Erik ihn. Anna-Greta bekam in den ersten beiden Oktoberwochen keine Nachricht von ihm.
Wenn ein Schiff ankam, ging sie zum Anleger hinunter und sah die Wehrpflichtigen zum Lebensmittelladen oder zu ihren Arbeitsplätzen auf den Baustellen rund um den Hafen strömen, aber niemand wusste etwas über die Männer zu berichten, die weit draußen am Rande des offenen Meers arbeiteten. Stattdessen musste sie sich lange Litaneien über das schlechte Essen, die schlechten Kleider und die Tristesse auf den Inseln anhören.
Nach zwei Wochen kehrte Erik heim und tat kaum mehr, als frische Kleider anzuziehen, ein wenig Geld dazulassen und wieder zu fahren. Anna-Greta kam nicht einmal dazu, ihm zu sagen, dass sie ein Kind erwartete, es ergab sich einfach nicht. Aber so war es. Zwölf bis vierzehn Wochen waren der Hebamme zufolge vergangen.
Anna-Greta hatte die Hände auf ihren Bauch gelegt und sah Erik in Björns Boot steigen. Sie winkte mit dem ganzen Arm und bekam als Antwort eine kurz gehobene Hand. Erik war bei seinen Kameraden und wollte sich vor ihnen nicht lächerlich machen. Das war das Letzte, was sie von ihm sah.
Zehn Tage später kam ein Brief. Erik war bei seiner verdienstvollen Arbeit zur Befestigung des Vaterlands verunglückt. Am Tag darauf kam der Leichnam, und Anna-Greta wurde geraten, ihn sich lieber nicht anzusehen. Ein Steinblock hatte sich aus dem Putz gelöst und war auf Eriks Kopf gefallen, als er die Wände auf der Innenseite des Walls verputzte.
»Er ist in keinem guten Zustand, könnte man sagen«, erklärte der Leutnant, der die Leiche begleitete.
Die Beerdigung war in Nåten, und es gab zwar reichlich bedauernde Worte und halbherzige Hilfs- und Unterstützungsangebote, aber eine Witwenrente vom Militär gab es nicht, weil Erik verwaltungstechnisch gesehen keinen Militärdienst geleistet hatte.
Anna-Greta war neunzehn Jahre alt, im vierten Monat schwanger und Witwe. Sie wohnte in einem zugigen Haus an einem Ort, der ihr fremd war, und hatte keine speziellen Fertigkeiten oder beruflichen Qualifikationen. Es konnte niemanden wundern, dass es anfangs ein finsterer und schwerer Winter für sie war.
Torgny und Maja hatten sie in ihr Herz geschlossen, als wäre sie ihre eigene Tochter, und standen ihr bei, so gut sie konnten. Auch ihr Vater tat, was in seiner Macht stand. Aber Anna-Greta wollte nicht von Almosen leben. Sie wollte auf eigenen
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