Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
Beinen stehen, sich selbst und ihrem Kind zuliebe.
    Der Winter wurde zu allem Überfluss ungewöhnlich kalt. Das Militär fuhr mit Raupenfahrzeugen über das Eis, bis es so eisig wurde, dass die Motoren kaputtfroren und man auf Pferde umstieg. Die Wehrpflichtigen, die Urlaub bekamen, mussten von den Inseln aus zu Fuß übers Eis gehen.
    An einem Samstagnachmittag, als Anna-Greta am Küchenfenster stand und sah, wie sich wieder eine Gruppe durchgefrorener junger Männer dem Land näherte, kam ihr die Idee. Es gab eine Nachfrage. Sie würde ihr mit einem Angebot begegnen.
    Maja hatte ein paar Säcke ungekardete Wolle auf dem Heuboden im Stall. Sie würden niemals Verwendung finden, sodass sie Anna-Greta die Wolle mit Freuden überließ. Anna-Greta trug sie in ihre Küche, das einzige Zimmer im Haus, das sie benutzte, weil sie Brennholz sparen wollte, und machte sich an die Arbeit. Binnen einer Woche hatte sie acht Paar Fausthandschuhe aus gefilzter Wolle gestrickt, die wärmsten, die man sich nur vorstellen konnte.
    Am nächsten Samstagvormittag bezog sie am Schiffsanleger von Nåten Posten und wartete auf die Wehrpflichtigen. Das Thermometer hatte am Morgen (Minus) 22° Grad angezeigt, und die Kälte hing wie ein stummer Schrei in der Luft. Sie hüpfte auf der Stelle, während sie die stumme Schar erwartete, die sich von der Eisfläche kommend näherte.
    Die Männer hatten krebsrote Gesichter, und ihre Körper waren wie Knoten, als sie an Land kamen. Sie fragte die Soldaten, ob sie kalte Hände hätten. Nur einer von ihnen brachte eine leicht anzügliche Antwort zuwege, die übrigen nickten nur stumm.
    Sie zeigte ihnen die Fausthandschuhe.
    In den Reihen wurde gemurrt. Sicher, die Handschuhe schienen wesentlich dicker zu sein als die Kochlappen des Militärs, aber drei Kronen für ein Paar? Man wollte doch in die Stadt und sich amüsieren, das Geld wurde für anderes benötigt. Schon bald würde man in einem warmen Bus sitzen und auftauen, während die Erinnerung an die Kälte im Gedächtnis zerschmolz. Das Amüsement war trotz allem wichtiger als die Nützlichkeit.
    Das Eis wurde schließlich von jenem Leutnant gebrochen, der einige Monate zuvor Eriks Leiche begleitet hatte. Er fischte sein Portemonnaie heraus und legte drei Einkronenstücke in Anna-Gretas Hand. Anschließend streifte er sich die Handschuhe über und horchte in sich hinein.
    »Unglaublich«, sagte er nach einer Weile. »Die wärmen sozusagen von innen.«
    Er wandte sich an seine Männer. »Wir haben Urlaub, und ich werde keine Befehle erteilen. Aber tut jetzt, was ich euch sage. Kauft euch Handschuhe. Ihr werdet mir noch dankbar sein.«
    Ob es nun daran lag, dass sie gewohnt waren, ihm zu gehorchen, oder dass er sie überzeugt hatte, spielte keine Rolle. Anna-Greta verkaufte alle Handschuhe. Trotz des ursprünglichen Widerstands schienen die Männer rundum zufrieden mit sich zu sein, als sie zur Bushaltestelle trabten.
    Der Leutnant blieb noch einen Moment. Er streifte den rechten Fäustling ab und streckte die Hand aus, als wäre es ihre erste Begegnung. Anna-Greta gab ihm die Hand.
    »Ja also, ich heiße Folke.«
    »Anna-Greta. Immer noch.«
    Folke blickte in den nunmehr leeren Korb und zupfte an seiner Nase. »Sie haben nicht zufällig über Socken nachgedacht? Oder vielleicht auch Pullover?«
    »Fehlt es denn daran?«
    »Fehlen und fehlen. Wir haben schon welche, aber die sind nicht für solche Winter gemacht, könnte man sagen.«
    »Dann vielen Dank für den Tipp.«
    Folke zog den Handschuh wieder an und grüßte militärisch. Als er ein paar Schritte Richtung Haltestelle gegangen war, drehte er sich noch einmal um und sagte: »In drei Wochen habe ich jedenfalls wieder Urlaub. Wenn es dann einen Pullover gäbe, wäre ich … interessiert.«
    Als Anna-Greta wieder daheim war, kippte sie die Geldstücke auf den Tisch und zählte sie. Ganz recht, es waren vierundzwanzig Kronen, verdient auf die beste Art, durch eigener Hände Arbeit und eine eigene Geschäftsidee. Als sie Maja etwas abzugeben versuchte, wollte ihre Schwiegermutter davon nichts wissen. Dagegen konnte sie sich durchaus vorstellen, ebenfalls ihr Scherflein beizutragen, falls die Nachfrage zu groß werden würde.
    Das wurde sie. Am nächsten Samstag hatte das Gerücht von Anna-Gretas Fausthandschuhen bereits die Runde gemacht, und der Vorrat reichte nicht für alle, die für sich oder Kameraden, die noch draußen auf den Inseln waren, welche kaufen wollten. Maja musste das Stricken

Weitere Kostenlose Bücher