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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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streckten nicht einen Finger in die schwedischen Hoheitsgewässer aus, und die Verteidiger des Vaterlands hockten in ihren Baracken und spielten Karten, glotzten Möwen an und langweilten sich so sehr, wie es nach menschlichem Ermessen überhaupt möglich war.
    Anna-Greta hatte sich mit einigen von ihnen unterhalten und dadurch den Bedarf identifiziert. Im Winter hatte es an Wärme gefehlt, im Sommer war fehlende Zerstreuung das Problem. Anna-Greta ging ans Werk.
    Auf verschiedenen Bezugswegen, von denen einige völlig legal, andere von eher lichtscheuer Art waren, kaufte sie sich ein Lager von Dingen zusammen, die geeignet waren, Einsamkeit zu lindern und Tristesse zu vertreiben. Süßigkeiten, Kautabak, Tabak, Illustrierte und leicht zu lesende Abenteuerromane. So wie Spiele und Puzzle in diversen Varianten. An Schnaps wagte sie sich nicht heran, gab den Soldaten jedoch zu verstehen, wenn sie für den Heimaturlaub etwas für ihre ausgedörrten Kehlen benötigten, dann ließe sich durchaus etwas machen.
    Anschließend fuhr sie an bestimmten Tagen und Uhrzeiten von Insel zu Insel und bot ihre Waren zum Verkauf an. Die Geschäfte liefen gut. Anna-Greta war zwar nicht eitel, aber die Wirkung, die sie auf Männer hatte, war ihr durchaus bewusst. Einige der Burschen kauften ihr vermutlich nur etwas ab, um sich eine Weile in ihrer Nähe aufhalten, sie ein wenig necken und vielleicht aus Versehen ihre Hand berühren zu können.
    Sie wusste das und nutzte es bis zu einem gewissen Grad aus. Aber sie wies alle Annäherungsversuche ab, noch ehe sie offen formuliert wurden. Sie hatte ihren Mann, sein Name war Johan. Wenn sie auf ihren Handelsfahrten war, blieb er bei seinen Großeltern, eine Regelung, die allen Beteiligten ausgezeichnet gefiel.
    Im Winter wurde die Herstellung von Strickwaren wieder aufgenommen, und im darauffolgenden Sommer war sie erneut mit dem Boot unterwegs.
    Und wie war das jetzt mit den Schnapsflaschen?
    Diese Episode ereignete sich erst nach dem Krieg und hing mit Folke zusammen. Er gab einfach nicht auf. Auf ihren Fahrten zwischen den Inseln kam es zuweilen vor, dass sie Folke begegnete, der zum Hauptmann befördert worden war, und sie nahm sich stets etwas Zeit, sich kurz mit ihm zu unterhalten, machte ihm aber keine Hoffnungen.
    Nach dem Krieg schied Folke aus dem Militärdienst aus und begann für den Zoll zu arbeiten. Innerhalb von zwei Jahren war er zum Kapitän eines Zollkreuzers aufgestiegen.
    Wahrscheinlich in der Absicht, Anna-Greta zu beeindrucken, legte er eines Tages mit seinem Kreuzer an ihrem Steg an und stieg mit Schulterklappen, Mütze und allem zu ihrem Haus hinauf. Er erkundigte sich, ob sie ihn auf einer kleinen Fahrt begleiten wolle, es sollte eine Kontrolle durchgeführt werden.
    Ausgerechnet an diesem Tag war Anna-Gretas Vater zu Besuch, und Folke und ihr Vater tauschten mit einem herben Unterton eine Reihe scherzhafter Bemerkungen aus. Ihr Vater hatte seine illegalen Aktivitäten damals jedoch längst aufgegeben, und es gab keinen wirklichen Groll. Ihr Vater erklärte sich bereit, auf Johan aufzupassen, falls Anna-Greta eine Vergnügungsfahrt mit dem Feind machen wolle.
    Es wurde eine Tempofahrt zur Grenze der Dreimeilenzone. Folke lebte wie die meisten Männer in der Wahnvorstellung, dass hohe Geschwindigkeiten das Herz einer Frau erweichen können, und trieb den Kreuzer zum Äußersten, wobei er auf der Kommandobrücke stand und sich ungerührt gab. Anna-Greta fand es zwar lustig, so schnell zu fahren, mehr aber auch nicht.
    Der Frachter an der Grenze wurde unter den üblichen Höflichkeitszeremonien geentert. Anna-Greta fand, dass ihr alles irgendwie bekannt vorkam. Die Sache fand ihre Erklärung, als der Kapitän auftauchte. Es war der russische Schiffer, der ihrem Vater und ihr selbst Jahre zuvor Schnaps verkauft hatte. Er erkannte sie auch, verriet dies aber mit keiner Miene.
    Anna-Greta hatte ein bisschen Geld dabei, und als Folke und seine Männer hinuntergingen, um das Schiffsinnere zu inspizieren, sagte sie im Flüsterton zu dem Kapitän: »Vier Kanister.«
    Der Kapitän sah sie gleichzeitig ängstlich und begeistert an. »Und wohin damit?«
    Anna-Greta streckte den Arm aus. Am hinteren Ende des Zollkreuzers hing ein Rettungsboot, das mit einer Plane überzogen war. »Dahin. Unter die Plane.«
    Der Kapitän nahm das Geld entgegen und gab seinen Männern Befehle. Anschließend ging er unter Deck, um Folke und die anderen aufzuhalten, solange die Ware umgeladen

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