Menschenhafen
wurde.
Man fand im Frachtraum des Schiffs, was man zu finden erwartet hatte, aber im Grunde konnte man nichts machen, da der Frachter in internationalen Gewässern lag. Man wollte nur die Mengen überprüfen und feststellen, ob Anlass zu erhöhter Wachsamkeit bestand.
Anna-Greta hatte den russischen Kapitän nie zuvor lächeln gesehen, jetzt aber lächelte er, als er Anna-Greta und dem Zollkreuzer zum Abschied zuwinkte. Von einem Ohr zum anderen.
»Das war trotz allem ein netter Kerl«, sagte Folke.
»Stimmt«, erwiderte Anna-Greta.
Als der Kreuzer an Anna-Gretas Bootssteg anlegte, erkundigte sie sich, ob sie die Besatzung nicht als Dank für die Ausflugsfahrt zu Kaffee und Kuchen einladen dürfe. Das Angebot wurde freudig akzeptiert, und die Männer gingen geschlossen zum Haus hinauf.
Während die Zöllner mit Johan spielten, nahm Anna-Greta ihren Vater beiseite und sagte ihm, es gebe da ein paar Dinge, die aus dem Rettungsboot geholt werden müssten. Ob er sie bitte einstweilen in den Fischerschuppen stellen könne. Ihrem Vater fiel die Kinnlade herunter, in seinen Augen wurde ein Feuer entfacht. Er sagte nichts, nickte nur stumm und ging hinaus.
Als Nächstes stellte sich natürlich heraus, dass Anna-Greta einige Probleme mit dem undichten Holzschuppen an der Vorderseite des Hauses hatte. Während ihr Vater um die Hausecke verschwand, nahm sie Folke und die anderen Männer mit und lauschte ihren guten Ratschlägen, wie sie die Konstruktion verstärken oder zuwege gehen sollte, um einen neuen Lagerraum anzubauen.
Zehn Minuten später war ihr Vater zurück, woraufhin sie den Männern für ihre Hilfe dankte und ihnen den versprochenen Kaffee anbot.
Als der Kreuzer abgelegt hatte und winkend verabschiedet worden war, wandte sich der Vater Anna-Greta zu, die Johan an der Hand hielt, und sagte: »Verdammt nochmal, was Besseres habe ich noch nie erlebt.«
»Kein Wort.«
»Nein, nein.«
Innerhalb eines Monats war die Geschichte von Anna-Greta, die Schnaps auf einem Zollkreuzer geschmuggelt hatte, überall auf den Schären in aller Munde. Ihr Vater hatte wahrscheinlich dichtzuhalten versucht, aber es war ihm einfach nicht gelungen; dazu war er viel zu stolz auf seine Tochter und eine gute Geschichte, in der er selbst auch eine gewisse Rolle gespielt hatte.
Am Ende musste die Anekdote allerdings auch Folke zu Ohren gekommen sein, denn von da an besuchte er Anna-Greta nie wieder. Sie schimpfte mit ihrem Vater, weil er sich verplappert und so Folkes guten Ruf beschädigt hatte, aber was geschehen war, ließ sich nicht mehr ungeschehen machen. Etwas zu bereuen war noch nie Anna-Gretas Art gewesen.
Der Schnaps wurde jedenfalls in Flaschen abgefüllt, und eine von ihnen landete mit der Zeit in dem Büfett im Haus von Evert Karlsson, wo sie seither gestanden hat.
Der Zauberer
Anfang der Fünfzigerjahre hätte das Leben für Simon ein Fest sein können. Er war über dreißig und somit in dem Alter, in dem man, wenn man Glück hatte, die Früchte dessen ernten konnte, was man in seiner Jugend gesät hatte. Und ob er erntete. Ein Erfolg reihte sich an den anderen.
Er und seine Ehefrau Marita gehörten schon seit Jahren – unter dem Künstlernamen El Simon & Simonita – zu den am häufigsten engagierten Artisten auf den Bühnen der Volksparks. In den letzten Sommern hatten sie sogar Engagements ablehnen müssen, weil ihr Terminkalender bereits voll war.
In diesem Frühjahr hatte Simon erfahren, dass sie sich im Herbst auf das begehrenswerteste Engagement von allen freuen durften: das Chinavarietétheater in Stockholm, zwei Wochen im Oktober. Dies würde ihnen wiederum die Möglichkeit eröffnen, in den Parks höhere Gagen zu fordern. Wer im China aufgetreten war, gehörte in der Artistenbranche zur ersten Garde.
Ihr Programm war im Grunde nichts Besonderes: ein bisschen Gedankenlesen, ein paar Kartenmanipulationen und Tricks mit Tüchern. Eine ungewöhnlich pfiffige Fluchtkiste sowie die zersägte Dame, wobei Marita nicht wie sonst üblich in zwei, sondern in drei Teile zersägt wurde. Eine Entfesselungsnummer. Nichts Besonderes.
Aber sie hatten eine spezielle Eleganz auf der Bühne. Simons gemessene, konzentrierte Bewegungen und sein ruhiger Tonfall neben Maritas wirbelnd leichten Schritten erschufen eine Art Tanz, von dessen Anblick man sich kaum losreißen konnte. Außerdem war Simon elegant und Marita … tja, Marita war eine richtige Schönheit.
Eine bekannte Illustrierte hatte sie für eine große
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