Menschenhafen
Reportage daheim interviewt, und der Fotograf hatte überhaupt nicht mehr aufhören wollen, Marita in unterschiedlichen Posen aufzunehmen, neben dem Sessel, dem Plattenspieler oder mit einem Topfdeckel in der Hand und mit hingerissener Miene in eine Kasserolle blickend.
Es hätte also alles bestens sein müssen, aber das war es nicht. Simon war offen gesagt unglücklich, und wie so oft hörte die Wurzel seines Erfolgs und seines Unglücks auf den gleichen Namen: Marita.
Simon neigte zu Grübeleien. Das traf sich gut, wenn es darum ging, zum Beispiel einem Zauberkunststück auf den Grund zu gehen. Die Wirkung zu sezieren, um zu erkennen, wie man sie verstärken konnte. So war er unter anderem der Erste, der eine Motorsäge benutzte, um die zersägte Dame auszuführen. Die meisten Illusionisten machten viel Aufhebens darum, die auseinandergesägten Teile auf der Bühne zu drehen. Simon hatte die Sache gründlich durchdacht und war zu dem Schluss gekommen, dass nicht die Teile das Interessante waren, sondern das Zerteilen .
Das große Sägeblatt, das normalerweise benutzt wurde, sah aus wie ein Bühnenrequisit. Die Eleganz seiner eigenen Erscheinung und die federleicht zerbrechliche Aura Maritas da gegen mit dem fleischlich Rohen einer Motorsäge zu kombinieren konnte unter Umständen die gewünschte Wirkung zeigen.
Das tat es. Bei einem ihrer Auftritte waren mehrere Personen in Ohnmacht gefallen, als Simon die große Motorsäge anwarf. Glücklicherweise war ein Reporter vor Ort gewesen, sodass der Zwischenfall sehr werbewirksam geworden war. Das hatten sie Simons Grübeleien über die zersägte Dame zu verdanken.
Marita war aus anderem Holz geschnitzt. Als Simon ihr Mitte der Vierzigerjahre begegnete, war sie eine clevere und energische Frau mit Ambitionen, Tänzerin zu werden, die sich wie ein flüchtiger Windhauch durch die Vergnügungslokale Stockholms bewegte.
Erst etwa ein Jahr nachdem sie ein Paar geworden waren, fand Simon ihre geheime Schatulle. Einen Schuhkarton, in dem gut zwanzig Inhalatoren mit Benzedrin lagen. Simon nahm an, dass sie es zum Abnehmen benutzte und ließ die Sache auf sich beruhen, wurde jedoch wachsamer.
Bald sah er. Was sie da trieb. Wenn Schnaps oder Wein getrunken werden sollten, schmuggelte sie oft etwas in ihre Handtasche. Eines Abends packte Simon ihre Hand, öffnete sie mit Gewalt und fand … einen Papierstreifen. Er verstand nur Bahnhof.
Marita war zu diesem Zeitpunkt bereits ziemlich betrunken und verhöhnte ihn vor den anderen an ihrem Tisch. Wie blind er war, wie wenig er wusste, und vor allem, wie langweilig er war. Als Marita zur Damentoilette torkelte, erklärten die anderen Simon, was los war: Seine Frau war drogenabhängig.
Den Papierstreifen fand man, wenn man einen Inhalator aufbrach. Er war mit Benzedrin getränkt, einer amphetaminähnlichen Substanz. Anschließend musste man den Streifen nur zusammenrollen, schlucken und war ruckzuck wieder fit.
Simon verließ das Lokal, noch ehe Marita von der Toilette zurückkehrte. Schnurstracks nach Hause ging er und warf ihre Unheil bringenden Metallröhrchen in den Müllschlucker. Marita war außer sich vor Wut, als sie erfuhr, was er getan hatte, beruhigte sich aber schnell wieder. Zu schnell. Simon ahnte, dass sie die Gewissheit hatte, ihren weggeworfenen Vorrat ersetzen zu können.
Er brauchte ein paar Wochen, um ihren Dealer aufzuspüren. Es war ein früherer Geliebter, der Lagerverwalter beim Militär gewesen war. Aus einem Lager hatte er große Mengen von Inhalatoren gestohlen, die den Soldaten helfen sollten, auf langen Wacheinsätzen ihre Müdigkeit zu bekämpfen. Er hatte Marita in den Gebrauch des Mittels eingeführt, von dem das zentrale Nervensystem stimuliert wurde, und sie weiter damit versorgt, nachdem ihre Liebesbeziehung vorbei war.
Simon drohte ihr, so gut er konnte. Mit der Polizei, mit Schlägen, mit öffentlicher Demütigung. Er wusste nicht, ob es Wirkung zeigen würde, aber er gab sein Bestes.
Dies hatte zur Folge, dass Maritas Schmuggelei dramatischere Formen annahm. Tagelang war sie wie vom Erdboden verschluckt und weigerte sich, ihm zu erzählen, wo sie gewesen war. Sie machte Simon deutlich, dass er von ihr aus gern in ihrer gemeinsamen Wohnung hocken und verrotten konnte, wenn er wollte, sie wollte das Leben jedenfalls in vollen Zügen genießen.
Sie verpasste allerdings nie eine Vorstellung. Sie verschwand grundsätzlich in den Lücken zwischen zwei Engagements. Wenn es Zeit war, ins
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