Menschenhafen
Rampenlicht zu treten, strahlte sie wie eh und je und eilte leichtfüßig auf die Bühne. Nicht zuletzt aus diesem Grund versuchte Simon nach Kräften dafür zu sorgen, dass sie immer ausgebucht waren.
Aber glücklich war er nicht.
Er brauchte Marita. Auf der Bühne war sie seine Partnerin und seine andere Hälfte – ohne sie wäre er vermutlich nur ein kompetenter Taschenspieler gewesen. Außerdem war sie seine Frau, und er liebte sie immer noch, jedenfalls in gewisser Weise. Aber glücklich war er nicht.
Im Frühjahr 1953 hatte Simons Karriere ihren Höhepunkt erreicht, und er blätterte mit einem mulmigen Gefühl im Bauch in ihrem Auftrittskalender. Das Engagement im China lag vor ihm, und der Sommer sah gut aus. Aber der Zufall hatte es so gewollt, dass sie im Juli drei Wochen lang keinen Auftritt haben würden. Juni und August waren fast völlig ausgebucht, doch diese Wochen im Juli machten ihm Sorgen. Er sah sich schon mit einem Angstkloß in der Brust in der Stockholmer Sommerhitze sitzen, während Marita sich an einem unbekannten Ort und auf unbekannte Art vergnügte. Das wollte er nicht. Das wollte er auf gar keinen Fall.
Es gab allerdings eine andere Möglichkeit. War jetzt vielleicht endlich der richtige Zeitpunkt gekommen, um Nägel mit Köpfen zu machen? Er griff nach der Tageszeitung und blätterte zu den Immobilienanzeigen. Unter der Überschrift »Sommerhäuser« las er:
»Gut gepflegtes Haus auf Domarö im südlichen Teil von Roslagen. Direkt am Wasser mit eigenem Bootssteg. Es besteht die Möglichkeit, ein Boot zu mieten. Wohnfläche 80 qm. Großes Grundstück. Wird ganzjährig vermietet. Ansprechpartner: Anna-Greta Ivarsson.«
Domarö .
Hoffentlich war es wirklich eine Insel, und zwar eine, die keine direkte Verbindung zum Festland hatte. Wenn es ihm gelang, Marita dem schädlichen Einfluss Stockholms zu entziehen und dorthin mitzunehmen, würde sich vielleicht alles bestens regeln. Außerdem war es sicher nicht verkehrt, einen Ort zu haben, an den man sich zurückziehen konnte, wenn einem das Leben einmal zu schnell wurde.
Er rief an.
Die Frau am anderen Ende der Leitung sagte ihm offen, dass es keine anderen Interessenten gab, er brauchte also nur vorbeizukommen und sich alles anzusehen. Die Miete betrug tausend Kronen im Jahr, und das Haus war bestens in Schuss. Sollte sie ihm eine Wegbeschreibung geben?
»Sicher«, erwiderte Simon. »Aber es gibt da noch etwas, worüber ich nachgedacht habe. Ist es auch wirklich eine Insel?«
»Ob es eine Insel ist?«
»Ja, ist sozusagen … rundherum überall Wasser?«
Am anderen Ende wurde es sekundenlang still. Dann räusperte sich die Frau und sagte: »Doch, doch, es ist eine Insel. Mit Wasser rundherum. Ziemlich viel Wasser sogar.«
Simon schloss wie vor Schmerzen die Augen. »Das wollte ich nur wissen.«
»Ach so! Wir haben kürzlich eine Telefonverbindung zum Festland bekommen, wollten sie darauf hinaus?«
»Nein, es war nur … und wie kommt man dann hin?«
»Es gehen Zubringerboote. Von Nåten aus. Und dorthin fahren Busse. Möchten Sie eine Wegbeschreibung?«
»Ja … vielen Dank.«
Simon notierte sich die Buslinien bis Norrtälje und zurück und erklärte, dass er vorher anrufen und an einem der nächsten Tage vorbeischauen werde. Als er den Hörer auflegte, schwitzte er unter den Armen. Er hatte sich lächerlich gemacht und fühlte sich unwohl dabei. Ihre Stimme hatte ausgereicht, damit er sich vor dieser Frau nicht lächerlich machten wollte. Anna-Greta.
Marita sagte weder Ja noch Nein zu seinen Plänen für den Sommer, aber hinfahren und das Haus in Augenschein nehmen durfte er allein. An einem Tag Ende April befolgte Simon Anna-Gretas Instruktionen und stand nach zweieinhalb Stunden mit Bussen und Boot neben dem Wartehäuschen auf dem Schiffsanleger Domarös.
Die Frau, die ihn willkommen hieß, trug eine Wollmütze auf dem Kopf, unter der zwei lange, dunkelbraune Zöpfe hervorlugten. Ihre Hand war klein und ihr Händedruck fest.
»Herzlich willkommen«, sagte sie.
»Danke.«
»Sind Sie gut hergekommen?«
»Es hat alles problemlos geklappt.«
Anna-Greta ließ die Hand übers Meer schweifen.
»Wie Sie sehen, gibt es hier … einiges Wasser.«
Während Simon sich hinter Anna-Greta in Bewegung setzte, versuchte er sich vorzustellen, dass dies der Ort sein würde. Dass dies das erste von unzähligen Malen wäre, die er diesen Weg nehmen und sehen würde, was er nun sah: die Stege, die Fischerhütten, den kiesbedeckten
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