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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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die Reste der Flüssigkeit am Glasrand brach, und sagte: »Es kann viele Gründe geben, sich komisch zu benehmen.«
    »Das ist schon richtig, aber … es ist eine bestimmte Art von Komischsein.«
    Simon blinzelte Johan an. »Kaum zu glauben, wie gut du dich mit so etwas auskennst.«
    »Ich kenne Mama.«
    Sie schwiegen eine Weile. Das einzige Geräusch war das Klatschen der Fledermausflügel, wenn sich das Tier hin und her warf und auf etwas herabstieß, das außer ihm niemand sehen konnte. Als im Hafen jemand einen Bootsmotor anwarf, wurde die Stimmung durchbrochen, und Simon sagte: »Hilfst du mir hoch? Ich bin immer noch ein bisschen steif. Morgen geht es dann schon wieder besser.«
    Johan stand auf, streckte eine Hand aus und half Simon aus seinem Stuhl. Sie standen sich gegenüber. Für zwei Sekunden schwebte gegenseitige Anerkennung zwischen ihnen. Dann legte Simon seine Hand auf Johans Schulter und sagte: »Nochmals vielen Dank. Bis morgen.«
    Johan nickte, nahm die Schubkarre und ging. Simons Augen folgten ihm. Als Johan in der Dunkelheit unter den Espen verschwunden war, schnaubte Simon und sagte leise für sich: »Eine bestimmte Art von Komischsein …«
    Anschließend schlurfte er in sein Haus und schloss die Tür hinter sich.
    Der ungebetene Gast
    Am nächsten Morgen führte Simon einige Telefonate und versuchte, allerdings vergeblich, Marita aufzuspüren. Anschließend setzte er sich mit Papier und Stift in die Fliederlaube, um ein Alternativprogramm für die Vorstellungen im Versammlungshaus zusammenzustellen, konnte sich aber nicht konzentrieren. Seine Gedanken schweiften zu den großen Daseinsfragen ab. Warum er überhaupt seiner Arbeit nachging, was der Sinn von allem war, wie man eigentlich ein Leben ohne Zukunft führen konnte und ob man dies überhaupt tun sollte.
    In dieser Gemütsverfassung war er, als Anna-Greta ihm auf dem Weg zum Bootssteg im Vorbeigehen: »Danke für die Vorstellung gestern, sehr gut« zurief. Er bat sie, sich einen Moment zu ihm zu setzen. Sie setzte sich ihm gegenüber auf die Stuhlkante und wirkte unruhig. Simon fragte sich, ob diese Unruhe eine bestimmte Art von Komischsein war, konnte sie aber natürlich schlecht danach fragen.
    Sie unterhielten sich über dies und das, unverfängliche Dinge, und Anna-Greta hatte es sich auf ihrem Platz gerade etwas gemütlicher gemacht, als Simon merkte, dass sie beobachtet wurden. Marita stand am Eingang zum Grundstück und beobachtete sie. Simon fühlte sich ertappt und wollte schon aus dem Stuhl hochschießen, aber seine Wut kam den Schuldgefühlen zuvor. Er blieb sitzen und starrte Marita an, ohne eine Miene zu verziehen.
    Marita blinzelte langsam. Ihre Lider bewegten sich in Zeitlupe, als ob sie gezwungen wäre, sie mit einer bewussten Kraftanstrengung zu schließen und zu öffnen. Ihre Haare waren ungewaschen, sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Sie kratzte sich mechanisch am Arm. »Schau an, schau an«, sagte sie. »Was für kleine Herzchen.«
    Simon starrte sie weiter an. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass Anna-Greta aufstehen wollte, und gab ihr mit einer Geste zu verstehen, doch bitte sitzen zu bleiben. Mit leiser Stimme stellte Simon die Frage, die in den letzten Jahren zu einem Mantra geworden war: »Wo bist du gewesen?«
    Maria machte eine Wellenbewegung mit dem Kopf, die alles Mögliche bedeuten konnte und folglich sagte: Mal hier, mal dort, aber vor allem irgendwo im Äther.
    Marita stellte sich direkt vor Simon, sah auf ihn herab und sagte: »Ich brauche Geld.«
    »Wofür?«
    Marita öffnete und schloss den Mund, und es klang zugleich trocken und klebrig, als sich ihre Zunge vom Gaumen löste.
    »Ich will nach Deutschland.«
    »Das geht nicht. Wir müssen hier arbeiten.«
    Maritas Augen glitten von Simon zu Anna-Greta und wieder zurück. Es schien ihr schwerzufallen, einen festen Punkt zu fixieren. »Ich will nach Deutschland. Du wirst mir Geld geben.«
    »Ich habe kein Geld, und du wirst nicht nach Deutschland fahren. Du wirst ins Haus gehen und dich hinlegen.«
    Marita schüttelte langsam den Kopf und blieb in dieser Bewegung stecken, als wäre ihr Kopf ein Pendel und als müsste sie die Bewegung fortsetzen, damit die Zeit nicht stehen blieb. Anna-Greta stand auf.
    »Ich werde gehen.«
    Das Geräusch ihrer Stimme erregte Maritas Aufmerksamkeit. Sie zeigte auf Anna-Greta. »Hast du Geld?«
    »Nein, ich habe kein Geld für dich.«
    Maritas Lippen wurden zur Imitation eines Lächelns hochgezogen. »Du fickst

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