Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
zwei Schritte vor, um der schwingenden Plastikfigur hinter seinem Rücken nicht zu nahe zu stehen. Der Feind kam aus allen Richtungen. Anders ließ den Blick über den Steg, die Hütten, den kiesbedeckten Platz, das Meer schweifen. Eine einsame Möwe kämpfte mit den Luftströmen, schien unfähig, zur Wasseroberfläche hinabzudringen. Es war kein Mensch zu sehen.
    Trotzdem sieht mich jemand.
    Jemand hatte ihn gesehen, als er vor dem Eisclown zitterte, irgendwer beobachtete ihn auch jetzt noch. Es fehlten nur die Augen. Aber irgendwo waren sie.
    Jemand ohne Augen sieht mich.
    Mit pochendem Herzen entfernte er sich vom Lebensmittelladen und schlug den Weg nach Kattudden ein. Das Gefühl ebbte ab, je weiter er sich entfernte. Das Quietschen des Eisclowns war noch leise zu hören, aber das Gefühl, beobachtet zu werden, war verschwunden. Anders ging mit schnellen Schritten weiter und kam an der früheren Schule, dem nur noch selten benutzten Missionshaus und der Sturmglocke in ihrem weißen Holzturm vorbei.
    Nach einigen Hundert Metern wurde das Herzklopfen des Grauens vom schnellen Herzschlag seiner schlechten Kondition ersetzt, und er verlangsamte seine Schritte. Als er in den Fichtenwald gelangte, blieb er am Fuß des schmalen Pfads stehen, der zum Findling hinaufführte. Seine Hände zitterten noch immer, als er eine Zigarette herauszupfte, sie anzündete und einen tiefen, gierigen Zug rauchte.
    Was war denn das?
    Intensives Unbehagen steckte ihm weiterhin in den Gliedern, und er hätte sich gewünscht, etwas Wein dabeizuhaben, um es hinunterzuspülen zu können. Die Zigarette in seinen feuchten Fingern schmeckte abgestanden, und er drückte sie auf den Fichtennadeln aus, die auf dem Weg verstreut lagen. Es ging ihm nicht gut. Irgendetwas in seinem Körper war dabei, auf üble Art seine Position zu verändern.
    Er machte einen Schritt auf den Pfad zum Findling, überlegte es sich dann jedoch anders. Er wollte nicht dorthin gehen. Dieser Weg hatte Cecilia und ihm gehört, und Cecilia und ihn gab es nicht mehr, und deshalb …
    Die Erinnerungen. Diese verdammten Erinnerungen.
    Alles auf Domarö steckte voller Erinnerungen. Wenn es nicht seine eigenen waren, dann die anderer. Wenn es doch nur möglich wäre, all seine Erinnerungen loszuwerden. Der schmale Pfad schlängelte sich wie eine geflüsterte Verheißung in den Wald hinein, wie die Verheißung eines anderen Orts oder einer anderen Zeit.
    Ich muss hier weg .
    Anders zeichnete den Verlauf des Pfads mit dem Finger nach, löste die Geste zu einem Winken, einem Lebewohl auf.
    Ich muss hier sein. Und ich muss hier weg.
    Er sah es klar und deutlich. Darin lag das Problem in seiner ganzen, unmöglichen Einfachheit. Als er Richtung Kattudden weiterging, fiel ihm eine Lösung ein. Eine praktische Antwort auf die Frage, wie er seine ständige Furcht, sein Grauen besiegen würde.
    Anders setzte seinen Weg durch den Wald fort und kam an Holgers Haus vorbei, das in der Dunkelheit brütete. Er skizzierte die Details seines Plans für die Zukunft, und es gab nichts Außergewöhnliches, nichts, was man nicht lösen können würde. Als er aus dem Wald trat, stand der Plan, und er atmete leichter.
    Kattudden lag um diese Jahreszeit verwaist. Die Häuser waren in der Regel nicht winterfest und in den meisten Fällen zu klein, um ein komfortables Leben zu ermöglichen, wenn man sich nicht mehr so oft im Freien aufhalten konnte wie im Sommer.
    Anders hatte einen Großteil seiner Sommer auf Kattudden verbracht. Die meisten seiner Freunde waren Kinder von Sommerurlaubern gewesen, und in den Zimmern oder Häuschen hier draußen hatte er zum ersten Mal Alkohol getrunken, verbotene Horrorfilme gesehen und Madonna gehört. Und so weiter.
    Im Moment war es nur eine entvölkerte Ferienhaussiedlung im herbstlichen Schmuddelwetter, noch dazu eine ziemlich hässliche. Es waren größtenteils Fertighäuser, komplette Bausätze, die auf Kalle Gripenbergs Lastkahn vom Festland eingetroffen waren. Wände und Dächer hochziehen, Fenster und Türen einbauen und dann husch husch ins Sommerhäuschen und entspannen! Häuser dieser Bauart neigen dazu, nicht mit Würde zu altern. Dennoch waren die meisten von ihnen besser gebaut als sein eigenes Haus.
    Anders schlenderte den Hauptweg zu den Bootsstegen hi nunter und betrachtete die vergessenen Sommersachen und abgedeckten Gartenmöbel. Auf einem Grundstück standen noch immer die Kegel einer halb gespielten Partie Kubb, als wäre den Besitzern schlagartig

Weitere Kostenlose Bücher