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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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Fanatismus.
    »Ich begreife das nicht.«
    »Ich auch nicht«, sagte Elin. »Aber so ist es nun einmal.«
    »Aber wohin … wohin bist du unterwegs?«
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es noch nicht fertig ist.«
    »Welcher Arzt lässt sich denn darauf ein, jemanden …«
    Elin unterbrach ihn. »Wenn man genügend Geld hat, gibt es immer jemanden. Und Geld habe ich.«
    Anders wandte sich um und sah aus dem Fenster. Der Wind wirbelte durch die wenigen Fichten, die auf Kattholmen noch aufrecht standen. Vor einigen Jahren hatte ein Sturm die meisten Bäume gefällt, und die Insel war ein einziges großes Mikado, durch das man sich nur mit viel Mühe bewegen konnte. Möglicherweise war die Fischerhütte zerstört worden. Hoffentlich.
    »Denkst du an das Gleiche wie ich?«, fragte Elin.
    »Ich glaube schon.«
    »Am Ende geht alles vorüber.«
    »Ja.«
    Sie vermieden das Thema und unterhielten sich darüber, was aus alten Freunden geworden war. Anders erzählte von Maja und mühte sich redlich, nicht in den Schacht zu fallen, der sich wie immer unter ihm auftat, sobald er durch Worte noch einmal durchlebte, was passiert war. Es gelang ihm, auf dem Rand zu balancieren.
    Der Nachmittag hatte einen Schleier aus dunklerem Grau über das Meer gezogen, und der Weinbehälter war so gut wie leer, als Anders auf den Tisch gestützt aufstand und sagte, er wolle heim. »Ich wohne jetzt hier. Glaube ich.«
    Er musste sich zusammenreißen, um sich in dem dunklen Flur die Schuhe zubinden zu können. Elin stand vor ihm und betrachtete ihn mit schief gelegtem Kopf.
    »Warum bist du zurückgekommen?«
    Anders kniff die Augen zusammen, um an den Schnürsenkeln ziehen zu können, ohne von den Bewegungen des Zimmers abgelenkt zu werden. Warum war er zurückgekommen? Er versuchte eine treffende Formulierung zu finden und erklärte schließlich: »Ich wollte wohl etwas in der Nähe haben, das mir etwas bedeutet.«
    Er zog sich mit Unterstützung der Klinke hoch. Die Tür ging auf, und er wäre fast auf den Treppenabsatz der Eingangstreppe gefallen, richtete sich jedoch auf und fand das Gleichgewicht wieder. »Und du?«
    »Ich wollte einfach nur fort. Von allen Augen.«
    Anders nickte betrunken und lange. Überaus verständlich. Alle Augen. Fort von ihnen. Er erinnerte sich vage an etwas, wusste, dass mit den Augen etwas war, bekam es jedoch nicht zu fassen. Er winkte ihr zum Abschied zu und schloss die Tür hinter sich.
    Als Anders den Weg zum Fichtenwald nahm, ging der Nachmittag schnell in den Abend über. Der Wind frischte auf, und besonders heftige Windstöße ließen ihn seitwärts taumeln. Er dachte an Elin.
    Ich bin nicht fertig. Ich werde noch mehr machen lassen.
    Er lachte auf. Als Projekt betrachtet war es zwar merkwürdig, aber nicht unverständlich. Projekte musste man haben, und die Zerstörung der eigenen Person war eines von vielen möglichen. Niemand wusste das besser als er. Sein Geld zum Fenster hinauszuwerfen, sich unters Messer zu begeben, um mit jedem Mal hässlicher zu werden, war in gewisser Weise grandios, eine wahre kulturelle Großtat.
    Oder eine Sühne.
    Vor seiner Haustür stand eine große Papptüte mit Lebensmitteln. Er sandte einen dankbaren Gruß über die Bucht, schleppte die Tüte in die Küche und räumte die Sachen in den Kühlschrank und die Vorratskammer. Als er fertig war, trank er fast einen Liter Wasser, um sein alkoholhaltiges Blut zu verdünnen, setzte sich an den Küchentisch und spielte mit den Perlen. Wahllos presste er ein paar blaue in den Rand der Platte.
    Die Küchengardinen bauschten sich schwach vom Luftzug durch das undichte Fenster, und er machte Feuer im Herd, um die Feuchtigkeit zu verscheuchen, die sich seit dem Morgen ausgebreitet hatte. Dann kehrte er zu den Perlen zurück.
    Zehn blaue Punkte am Rand des großen Weißen wie ein Zipfel Himmel hinter einer Wolkendecke. Er drückte noch ein paar dazu.
    Mutmaßungen
    Heutzutage liebten sie sich nicht mehr besonders oft, aber wenn sie es taten, dann gründlich.
    Im ersten Sommer hatten Simon und Anna-Greta nicht die Finger voneinander lassen können. Aus Rücksicht auf Johan hatten ihnen in erster Linie die Nächte zur Verfügung gestanden, aber es kam auch vor, dass die Lust ihnen wie ein brodelnder Heringsschwarm mitten am helllichten Tag entgegenschlug. Dann schlossen sie sich in die Fischerhütte ein, wanden sich auf Bergen von Netzen, stillten das Fieber und bezahlten mit Schrammen.
    So ging es heute nicht mehr zu. Wie hätte

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