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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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klar geworden, dass sie in die Stadt fahren mussten, woraufhin sie einfach alles fallen gelassen hatten, was sie gerade in den Händen hielten.
    In einem der Häuser in unmittelbarer Nähe der Bootsstege brannte Licht. Anders war viele Male in diesem Haus gewesen: Elins Haus. Es war bestimmt zehn Jahre her, dass er Elin zuletzt gesehen hatte, fast zwanzig, dass sie sich nicht mehr trafen. Im Fernsehen und in Illustrierten hatte er wie halb Schweden bis vor wenigen Jahren so einiges von ihr gesehen. In letzter Zeit war es dann still um sie geworden.
    Das Haus gehörte zu den besseren in der näheren Umgebung, hatte einen eigenen Brunnen und Bootssteg. Im Gegensatz zu den meisten anderen war es komplett vor Ort errichtet worden, und Anders erinnerte sich noch, dass das hohle Echo der anderen Häuser in Elins fehlte. Die Tür, an die er nun klopfte, war folglich solide und hatte einen Türklöppel.
    Er wartete. Als nichts geschah, klopfte er erneut. Man hörte Schritte im Haus, und eine Stimme sagte: »Wer ist da?«
    Das konnte unmöglich Elins Stimme sein, sie musste einem anderen Menschen gehören, sodass Anders sagte: »Ich heiße Anders. Ich wollte zu Elin. Elin Grönwall.«
    Erst als er ihren Namen aussprach, fiel es ihm wieder ein. Warum sie sich nicht mehr getroffen hatten. Warum sie sich alle nicht mehr getroffen hatten, warum die Sommer und die Kindheit zu Ende gegangen waren.
    Elin. Joel.
    Es war ihm tatsächlich gelungen, die Sache zu vergessen. Eine spontane Eingebung hatte ihn anklopfen lassen, aber jetzt war er dankbar, dass Elin nicht daheim war und er sie nicht zu sehen brauchte. Er wollte schon gehen, als die Tür geöffnet wurde. Anders machte Anstalten zu lächeln, aber ihm verging die Lust dazu, als er die Person erblickte, die ihm aufgemacht hatte.
    Wenn es die Titelseiten der Illustrierten und die Bilder in den Klatschspalten nicht gegeben hätte, die noch nicht so lange zurücklagen, hätte er die Frau, die früher einmal, vor langer Zeit, eine Freundin von ihm gewesen war, niemals erkannt, und hätte er sie nicht von Kindesbeinen an gekannt, hätte er die Frau auf den Titelseiten nicht erkannt.
    Was haben sie mit ihr gemacht?
    Er wusste nicht, wer »sie« waren, aber es war völlig undenkbar, dass jemand freiwillig so sein Äußeres veränderte. Anders gelang es, die Mundwinkel ein wenig hochzuziehen.
    »Hallo.«
    »Hallo.«
    Auch Elins Stimme war verändert. Als sie siebzehn war, hatte sie sich eine Babystimme angewöhnt, die manche Männer ansprach und später in der Presse lächerlich gemacht wurde. Jetzt klang ihre Stimme tiefer und kratziger. Es war die Stimme eines älteren Menschen, und diese Veränderung war positiv.
    Was er dachte, konnte Anders nicht aussprechen, also sagte er: »Ich bin vorbeigegangen und hab gesehen, dass Licht brannte, und dann …«
    »Komm rein.«
    Das Haus roch noch fast so wie damals, als er jung war. Man hatte nicht das Gefühl, dass außer ihr noch jemand da war. Anders hatte sich vorgestellt, dass die Person, die Elin zu alldem gezwungen hatte, anwesend sein würde.
    »Möchtest du etwas trinken?«, fragte sie. »Kaffee? Wein?«
    »Ich nehme gern ein Glas Wein, danke.«
    Anders schaute bei seiner Antwort auf, senkte jedoch sofort wieder den Blick. Es fiel ihm schwer, sie anzusehen. Er konzentrierte sich darauf, seine Schnürsenkel zu lösen, und Elin verschwand in der Küche.
    Was hat sie getan?
    Sie war hübsch gewesen, und als sie jung war, hatte sie sich die jungen Männer aussuchen können. Als sie dann bei Big Brother mitwirkte und Nacktbilder von sich machen ließ, hatte sie sich die Brüste und die Lippen operieren lassen, war zum klassischen Luder oder zu einem Vamp geworden. Zu einer jener Frauen, die zwischen Fototerminen, Partys und Skandalen pendelten. Ein Zug durch die Bars plus Interview, eine gescheiterte Beziehung plus Interview. Bei jeder Runde ein bisschen mehr Schminke.
    Man konnte sich vorstellen, wie das an einem zehrte, dass der Mensch hinter der Maske allmählich härter wurde: Das Lächeln erstarrte, die Haut wurde steif und unsensibel, bis nur noch ein glänzendes Fossil um eine Leere zurückblieb und die Schwerkraft über den Glamour siegte.
    Trotzdem erklärte nichts von alldem Elins Verwandlung. Sie war nicht einfach vorzeitig gealtert, sie hatte sich zu etwas Schlimmeren umgestaltet , als der Zahn der Zeit es jemals gekonnt hätte. Irgendwie und aus irgendeinem Grund hatte sie sich hässlich gemacht.
    Durch das Panoramafenster in

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